Rezension Rezas neues Werk - erschreckend unterhaltsam

Düsseldorf · Schon nach wenigen Minuten ballt Markus John seine Hand zur Faust, beugt sich nach vorne und presst zwischen den Lippen hervor: "Ich sage, entschuldige bitte. Entschuldige bitte, Odile. Klar. Odile ist nicht freundlich, ich füge Odile hinzu, um meine Ungeduld zu signalisieren…" Grund dafür: Der Schauspieler liest auf der "lit.Cologne" aus Yasmina Rezas neuem Roman "Glücklich die Glücklichen".

 Kathinka Engels studiert Anglistik und Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Kathinka Engels studiert Anglistik und Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Foto: Kathinka Engels

In diesem ersten Kapitel folgen wir Robert Toscanos Gedanken, während ein normaler Supermarkteinkauf mit seiner Frau Odile in einen handfesten Streit ausartet. Sie ist ihm zu langsam; er hat den falschen Käse gekauft und sie zu viele Süßigkeiten für die Kinder: "[…]das ist doch absurd, sie mit Zucker und Fett vollzustopfen, dieser Einkaufswagen ist absurd". In dieser eigentlich ganz banalen Szene, offenbart sich Yasmina Rezas Geschick, in Alltagssituationen den wunden Punkt zu finden, um dann genüsslich mit spitzfindigen Dialogen das Ganze bis an den Rand der Eskalation zu treiben. Das Publikum lacht. Verlegenheit ist im Saal zu spüren. Manche Paare nicken einander wissend zu. So ganz freisprechen von solchen Situationen mag sich wohl keiner.

Ähnlich wie in einem Episodenfilm, bekommen wir in den darauffolgenden 20 Kapiteln Einblicke in die Gedankenwelten von 17 weiteren Personen. Erst nach und nach entschlüsselt man das feine Figurengeflecht - alle Figuren sind über Knotenpunkte miteinander verbunden. Was sie ebenso verbindet, ist die scheinbar gescheiterte Suche nach Glück und der Versuch, den äußeren Schein zu wahren. Die Toscanos streiten sich nicht nur im Supermarkt, Paola Suares hat eine Affäre mit Luc, der vermutlich nie seine Familie verlassen wird, und Marguerite Blot hat Angst vor der Einsamkeit.

Auch wer in Yasmina Rezas Buch auf den ersten Blick glücklich erscheint, hat dann doch das ein oder andere Geheimnis. So zum Beispiel der erfolgreiche Krebsarzt Dr. Chemla. Er lässt sich, auf der Suche nach Befriedigung und Liebe, von Strichern zuerst schlagen, um anschließend getröstet zu werden. Oft geht das ins Tragikomische, ja sogar Absurde, wie bei dem Ehepaar Hutner. Sie führen eine scheinbar übermäßig harmonische Ehe. Erst später erfahren wir, dass ihr Sohn Jacob in einer geschlossenen Anstalt lebt, weil er sich für Céline Dion hält. Unfähig mit der Situation umzugehen, drohen sie an der Hilflosigkeit und Scham zu zerbrechen.

Sie alle gehören nicht, wie der Titel ankündigt, zu den Glücklichen. Die wahrhaft Glücklichen muss man woanders suchen. Dennoch ist "Glücklich die Glücklichen" ein Lesevergnügen. Nicht nur wegen der explosiven Dialoge, sondern auch, weil Yasmina Reza uns mit tiefschwarzem Humor den Spiegel vorhält. Sie zeigt uns die krassesten Auswirkungen unseres alltäglichen Egoismus. Das kann sehr erschreckend sein. Im Fall von "Glücklich die Glücklichen" ist es vor allem unterhaltsam!

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