Buch-Kritik Qiu Xiaolong: Schwarz auf Rot

Was jeder europäischen und amerikanischen Stadt recht ist, ist auch einer chinesischen Hafenstadt billig: Der Superpolizist, der auch die kompliziertesten Kriminalfälle zu lösen vermag. In Shanghai ist es Oberinspektor Chen mit seinem Adlatus Hauptwachtmeister Yu. "Schwarz auf Rot" ist der dritte auf Deutsch erschienene Krimi des Schanghaier Autors Qiu Xiaolong, der seit dem Tianamnen-Massaker von 1989 in den USA lebt.

 "Schwarz auf Rot" von Qiu Xiaolong.

"Schwarz auf Rot" von Qiu Xiaolong.

Foto: Zsolnay

Chen hat diesmal eine neue Rolle: Er übersetzt für den Großkapitalisten Gu eine Projektbeschreibung für einen riesigen Neubaukomplex ins Englische. Das Honorar, das er dafür erhält, ist traumhaft, zusätzlich schickt ihm Gu Weiße Wolke als "kleine Sekretärin". Dass Gu für all das zuletzt eine Gefälligkeit erwartet, versteht sich fast schon von selbst.

Da geschieht ein Mord in einem shikumen-Haus an der Schatzgasse. Ein shikumen-Haus ist ein traditionelles Shanghaier Wohnhaus mit steinernem Eingang, Vorder- und Hinterhaus, Innenhof und Gemeinschaftsküche. Alle Zimmer sind einzeln vermietet, teilweise an ganze Familien, es gibt keine Toiletten und nur einen gemeinsamen Waschraum. Das Haus gleicht einem Bienenstock. Im tingzijian, dem schlechtesten Zimmer des Hauses, wird die ehemalige Rotgardistin und jetzige Englischlehrerin Yin Lige von einer Nachbarin tot aufgefunden, mit einem Kissen erstickt. Das Zimmer ist offensichtlich durchsucht worden.

Yin war eine Dissidentin, sie hatte einen zur Landarbeit verbannten Dichter geliebt und nach dessen Tod einen vielbeachteten, aber verbotenen Roman veröffentlicht - ein mögliches Motiv. Vielleicht hatte sie Geld. Vielleicht hatte jemand sie gehasst. Yu führt die Ermittlungen. Aber weder Nachbarschaftskomitee noch Nachbarschaftspolizei, Krabbenfrau oder Imbissbudenbesitzer sind eine wirkliche Hilfe. Yus Frau Peiquin liest den Roman der Ermordeten und entdeckt eine mögliche literarische Fährte. Derweil drängt die Parteiobrigkeit auf eine schnelle Lösung des Falls, weil sie politische Turbulenzen befürchtet. Immerhin hatte das Mordopfer einen Pass beantragt und wollte ins Ausland reisen. Das alles macht Chen stutzig, schließlich greift er ein. Gemeinsam mit Yu löst er den Fall - ohne dass dabei jemand das Gesicht verliert.

Dieser Roman ist zwar ein Krimi und als solcher hochspannend. Aber er ist noch viel mehr: Auf leichte und höchst unterhaltende Art erzählt der Autor über das Leben in China während der Zeit Maos, er schildert die Wirren der Kulturrevolution und gibt einen tiefen Einblick in den Prozess, den das Land jetzt Richtung Marktwirtschaft macht. Man spürt die (noch) allgegenwärtige Partei, die gegenseitige Kontrolle und das blühende Denunziantentum. Korruption ist an der Tagesordnung, ohne Beziehungen geht gar nichts - mit den richtigen aber fast alles.

Qiu führt den Leser zudem ein in die Feinheiten der chinesischen Interpretation: Was bedeutet es beispielsweise, wenn der Minister sein Lob direkt Chen ausspricht und es nicht durch Parteisekretär Li ausrichten lässt? Und last but not least: Wer die chinesische Küche liebt, kommt auch auf seine Rechung. Alles in allem: Ein Lesevergnügen pur, mit einer Informationsfülle, die schon an ein Lehrbuch grenzt - ganz ohne lehrerhafte Töne allerdings.

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