Zugreise im Schneechaos In 16 Stunden von Leipzig nach Düsseldorf

Düsseldorf · Das ist das Protokoll einer Deutschlandreise. Einer ziemlich ungemütlichen und zermürbenden. Fast 16 Stunden wird sie dauern, dabei ist Deutschland doch gar nicht so groß.

 Fahrgäste stehen am Querbahnsteig im Leipziger Hauptbahnhof vor eine Informationsstand. Starker Schneefall hatte den Zugverkehr am Leipziger Hauptbahnhof am Samstag komplett lahmgelegt.

Fahrgäste stehen am Querbahnsteig im Leipziger Hauptbahnhof vor eine Informationsstand. Starker Schneefall hatte den Zugverkehr am Leipziger Hauptbahnhof am Samstag komplett lahmgelegt.

Foto: dpa, wil fdt

Alles beginnt mit dem Schnee, der nicht so ungewöhnlich hierzulande ist. Erst recht nicht im Winter. Und von einem Unwetter kann eigentlich auch keine Rede sein. Eine geschlossene Schneedecke ist es halt bei immer noch dezenten Minustemperaturen. Nichts deutet also am Samstagmorgen in Leipzig daraufhin, dass dies der Beginn einer Odyssee durch Deutschland sein wird. Das ist ein ziemlich großer Name für die unspektakuläre Rückreise von Leipzig nach Düsseldorf.

Der Taxifahrer kutschiert uns ein wenig behutsamer über den Schnee, am Flughafen treffen wir Miriam Meckel und machen Scherze, wie gefährlich jetzt wohl ein Flug werden könnte und warum uns das Gehirn dazu überredet. Meckel hat auf der Leipziger Buchmesse ihr neues Werk übers Hirn präsentiert, "Mein Kopf gehört mir". Sie ist also im Thema und erwidert darum auch ebenso keck wie profund: Natürlich sende das Gehirn Warnzeichen aus. Andererseits gebe es auch den großen emotionalen Wunsch, nach Hause zu kommen. "Und der überwiegt bei mir jedenfalls", sagt sie und lacht. Nun ja, was wir beide nicht wissen: Diesen Flug wird es heute gar nicht geben, wie viele andere Dinge auch nicht.

Zunächst werden nur zwei Flüge wegen des schlechten Wetters gestrichen. Und dann steht man an der Panoramascheibe des Flughafens, hört Joni Mitchells "Urge for Going" über Kopfhörer und schaut einer Kehrmaschine bei der Arbeit zu, auf dem Rollfeld sinnlos kleine Bahnen ziehend. Doch Düsseldorf soll klappen, wenn auch eine halbe Stunde verspätet, wie es heißt, dann noch einmal eine viertel Stunde und schließlich weitere 20 Minuten. Doch sie kommt. Düsseldorf lässt uns nicht in Stich, wir haben es gewusst, gehofft, geahnt; und dieser Tag wäre dann doch noch ein richtig guter Tag geworden, hätte es beim Landeanflug nicht diesen doofen Vogelschlag gegeben. Eine Sicherheitsüberprüfung ergibt: Weiterflug nicht ratsam. Eine Ersatzmaschine gibt es nicht.

Zurück zum Hauptbahnhof

Dann also zurück zum fernen Hauptbahnhof. Nur wie? Die Autobahnen sind dicht, verstopft von Messebesuchern aus dem Umland. Taxen kommen zum Flughafen auch nicht mehr durch. Die S-Bahn steht still und leise im Gleis, darf Leipzig nicht mehr anfahren, da der Hauptbahnhof komplett dicht gemacht wurde. Etwa 20 Weichen sollen dort eingefroren oder durch Schneeverwehungen blockiert worden sein. Natürlich gibt es auch sogenannte Weichenheizungen. Und die hätten den Schnee auch brav aufgetaut, heißt es. Doch durch sinkende Temperaturen und erneuten Niederschlag gab es hässliche Eisklumpen, die nur in Handarbeit zu entfernen waren. Mag alles stimmen. Bloß: Es ist kein arktisches Ereignis und der Schneefall schon seit zwei Tagen vorausgesagt worden.

Und jetzt sitzen viele Menschen in der S-Bahn am Flughafen fest. Doch wer sie fragt, wann und wohin ihr Zug wohl fahren wird, kassiert nur lethargisches Schulterzucken. Die Menschen sitzen nur im abgestellten Zug, um sich aufzuwärmen. Die Hoffnung auf Weiterfahrt irgendwann und irgendwohin wäre ein Bonbon.

Das Wunder - ein freier ortskundiger Taxifahrer

Es geschehen an diesem Tag dennoch kleine Wunder. Gerade eben noch hieß es von der Taxi-Zentrale, dass heute keine Aufträge mehr angenommen werden können. Eine Durchsage per Anrufbeantworter. Kurz darauf taucht dieser einsame Taxifahrer aus dem nebligen Nichts auf, als sei das das normalste von der Welt. Ein Ortskundiger noch dazu, ein automobiler Pfadfinder, der dann über manche Dörfer und viele Schleichwege den Hauptbahnhof erreicht. Irrende Menschen auch dort, viele sitzen auf dem Boden, starren irgendwohin. Unsere Wartenummer im DB-Infozentrum lautet 1646. Gerade wird 1413 aufgerufen. Also noch 200 Ratssuchende davor.

Und während die Stunde Wartezeit so dahinrieselt wie der Pulverschnee draußen fragt man sich natürlich, ob der ganze Unmut nicht schon wieder das übliche und wohlfeile Bahn-Bashing ist. Ja, beschließt man reuig und hält die Klappe. Aber nur bis später am Bahnsteig des schönen Leipziger Kopfbahnhofs, nur bis zur Hinweistafel, die einen ICE nach Köln vom Vormittag ankündigt und mit aller Härte bürokratischer Genauigkeit die Verspätung notiert: 360 Minuten. Der Zug kommt natürlich selbst jetzt nicht, wie die meisten anderen auch nicht. Wer sich auf die Anzeigen verlässt, ist ohnehin verloren. Und so hasten die Menschen auf Zuruf von Bahnsteig zu Bahnsteig, fast immer vergebens. Kaum ein Zug kommt, und die im Bahnhof stehen, verharren an Ort und Stelle.

Der rettende ICE?

Dann das vielleicht zweite Wunder an diesem Tag. Ein IC nach Köln wird am Nachmittag angekündigt. Nie hatte Köln einen lieblicheren Klang. Es ist der IC 2440, und die frohgemuten Mitreisenden ahnen nicht, dass sie gerade der Chaos-Hölle mit einem Schreckenszug entkommen wollen. Die erste Nachricht des Zugführers ist ein außerplanmäßiger Zwischenstopp in Köthen, einem Örtchen, dass im Fernnetz der Deutschen Bahn bislang ein unbeschriebenes Blatt war. Also Köthen. Niemand steigt aus, niemand steigt ein. Sei's drum. Köthen kann uns die gute Laune jedenfalls nicht verderben. Doch gleich hinter Köthen die zweite Kunde, dass der Zug heute nicht - wie annonciert - nach Köln fahren wird, sondern doch nur bis Hannover.

Der Verzweiflung darüber weicht aber schon in Magdeburg einer anderen Stimmung. Der Name Hannover wird jetzt wie eine kleine Verheißung gehandelt. Denn in Magdeburg steht der Zug erst einmal. 15 Minuten, dann 30 Minuten, bis nach 50 Minuten die Durchsage kommt, dass der Zug erst weiterfahren wird, wenn ein Lokführer gefunden wurde. Bis zu diesem Augenblick war uns gar nicht bewusst, wie führerlos wir ihn Magdeburg doch gewesen sind! Es dämmert im leicht verschneiten März-Deutschland; und wir tuckern Richtung Braunschweig und Hannover weiter, amüsieren uns über Schilder am Streckenrand wie "Wüst bis Gleisende", verfolgen die Endphase der Bundesliga-Spiele (der Sitznachbar ist Schalke-, der Vordermann Dortmund-Fan), und alle vermissen erstens ein Restaurantabteil im Zug und zweitens, dass sich kein einziger Zugbegleiter der Bahn seit Beginn unserer Reise in Leipzig hat blicken lassen. Wir sitzen allesamt in einem Geisterzug.

Am Abend in Braunschweig umsteigen? Kurze Debatte der Schicksalsgemeinschaft. Wir bleiben sitzen und setzen auf Hannover. Wohl getan. Bequeme 30 Minuten Aufenthalt haben wir dort, weil der ICE 844 nach Düsseldorf 20 Minuten Verspätung hat. Der Zug ist wieder einmal völlig überfüllt, daher auch schön warm. Doch wer auf Toilette geht, muss fürchten, seinen Sitzplatz zu verlieren. Ach ja - Bielefeld, Hamm, Dortmund. Wir nähern uns der vertrauten Welt, der schneefreien, der heimatlichen. Um 22.30 Uhr, nach fast 16-ständiger Deutschlandreise dann Düsseldorf - Leute, was für eine hinreißende Stadt, auch ganz ohne Buchmesse.

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