Drama eines ungewollten Kindes

Die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz schlägt in ihrem Roman "Nachkommen" dem Literaturbetrieb ein Schnippchen und erfindet die schicksalhafte Geschichte einer jungen, erfolglosen Schriftstellerin.

Es ist gerade mal drei Jahre her, da war Marlene Streeruwitz mit ihrem Roman "Die Schmerzmacherin." für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ein fragwürdiges Vergnügen für eine Schriftstellerin. Geht es bei der Preisverleihung in Frankfurt auf großer Bühne doch um Personen, nicht um Bücher. Nicht jedermanns Sache. Zumal, wenn ein anderer den Preis letztendlich mit nach Hause nimmt. In diesem Fall war es Eugen Ruge für sein Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichtes". Ein bisschen autobiographisch mag der neue Roman "Nachkommen" also motiviert sein, in dem die Streeruwitz dem Literaturbetrieb jetzt ein herrliches Schnippchen schlägt.

Cornelia Fehn, genannt Nelia, ist die jüngste Autorin, die es je auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Morgens steht sie noch an der Bahre ihres toten Großvaters in Wien, abends ist sie schon bei der Preisverleihung in Frankfurt, wo ihr neues Leben beginnen soll. Doch sie geht leer aus. Den Preis erhält eine andere. Drei Tage irrt die junge Frau durch Frankfurt. Frierend, getrieben von Selbstzweifel, Ohnmachtsgefühl und Vernichtungsängsten. "Sie war ausgelöscht worden. Ihr Text war ausgelöscht worden. Unprämiert."

Eigentlich hatte sie alles besser machen wollen als ihre Mutter Dora. Auch die war Autorin (beim S. Fischer-Verlag wie Streeruwitz). Auch die war nominiert - vor ihrem plötzlichen Tod nach einer Routineoperation. Doch wohin die junge Nelia auch kommt, überall ist sie nur die Tochter ihrer berühmten Mutter.

Zu allem Überfluss meldet sich auch noch ihr leiblicher Vater Rüdiger Martens - ein in Frankfurt lebender Professor für französische Literatur - den sie nie kennengelernt hat. "Er hatte sich nie herangedrängt. Sich interessiert. Sich angetragen. War aufgetaucht. Hatte gelebt. Für sie. Dieser Mann war eine Kontonummer in Frankfurt, die auf ein Konto in Wien die Mindestalimente überwiesen hatte." Doch auf einmal will er sie sehen. "Er war eingedrungen. Sie hatte ihn eindringen lassen." Als sie die Verabredung mit "dem Mann hat, deren Tochter sie nie gewesen war", stellt sich heraus, dass der einen ganzen Harem von Frauen um sich geschart hat. Außerdem sagt er Nelia noch ins Gesicht, er habe ja nie ein Kind haben wollen. Wenn es nach ihm gegangen sei, wäre sie gar nicht auf der Welt.

In ihrem so typischen Erzählsound erzählt Marlene Streeruwitz mit ihren kurzen Stakkato-Sätzen atemlos das Drama dieses ungewollten Kindes. War "Die Schmerzmacherin" noch eine Abrechnung mit der Mutter, so ist jetzt der Vater an der Reihe. "Ihr habt doch keinen Augenblick daran gedacht, was Ihr hinterlasst. Es ist immer nur um Euch gegangen. Als wärt Ihr die letzten", schleudert Nelia ihrem Erzeuger an den Kopf.

Streeruwitz macht ihrem Ruf als feministische Autorin alle Ehre. Wobei sie Patriarchatskritik immer als Kulturkritik versteht und nicht als Kritik an konkreten Männern, wie die 1950 in Baden bei Wien geborene Österreicherin einmal erklärte. Die Literaturszene bildet für die Handlung die Kulisse, so dass sich der vielschichtige Text auch als Schlüsselroman lesen lässt, in dem sich reale Personen von Marcel Reich-Ranicki bis Judith Hermann wiederfinden. Das beeindruckende Buch wird so zu einer Abrechnung mit dem kommerziellen Literaturbetrieb.

"Die Literatur war am Ende. Alles andere war wichtiger geworden", heißt es da einmal; oder: "eine junge Frau trat immer außer Konkurrenz an. Sie musste außer Konkurrenz antreten und dann zählte es nicht. Wie gut sie war. Wie perfekt. Wieviel perfekter als alle. Und das. Das machte es so ungerecht. So unfair."

Der besondere Clou dieses raffinierten Romanes aber ist, dass Streeruwitz nicht nur von der jungen Nelia erzählt. Im Herbst erscheint "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland", das Buch, das Nelia im Roman geschrieben hat. "Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn" wird dann als Autorenname auf dem Cover stehen. Es ist, als wolle Streeruwitz den Buchmarkt mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Weil sich eine junge Autorin besser verkauft, verpasst sie sich selbst mal schnell ein jüngeres Alter Ego. Ein Spiel mit Fiktion und Realität.

Mal sehen, ob sie wirklich noch einmal für den Deutschen Buchpreis nominiert wird. Und wenn ja, ob als Marlene Streeruwitz oder als Nelia Fehn.

(RP)
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