Jennifer Teege, Enkelin eines NS-Massenmörders "Mein Großvater hätte mich erschossen"

Jennifer Teege arbeitet als Werbetexterin und lebt mit ihren zwei Kindern in Hamburg. Mit 38 Jahren entdeckt sie, dass sie die Enkeltochter des NS-Massenmörders Amon Göth ist, der im KZ Plaszow tausende Menschen in den Tod schickte. Die Geschichte einer Befreiung.

"Jede Wahrheit ist besser als Schweigen." Jennifer Teege verarbeitet aktiv ihre Familiengeschichte.

"Jede Wahrheit ist besser als Schweigen." Jennifer Teege verarbeitet aktiv ihre Familiengeschichte.

Foto: dpa, Sven Hoppe

Mit 38 Jahren entdeckt Jennifer Teege durch Zufall, wer sie ist. In der Zentralbibliothek findet die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers ein Buch über ihre Mutter und ihren Großvater. Die Entdeckung ist ein Schock, der ihr bisheriges Leben infragestellt. Denn, was sie bis dahin nicht wusste, weil sie in einer Adoptionsfamilie aufwuchs: Ihr Großvater ist Amon Göth, Kommandant im Konzentrationslager Plaszow, verantwortlich für den Tod tausender Menschen.

Millionen kennen Göth als Gegenspieler des Judenretters Oskar Schindler aus Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste". Wie geht man mit so einem Familiengeheimnis um? Jennifer Teege hat darüber ein Buch geschrieben: "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen" (Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg).

Die Entdeckung stürzt sie in eine tiefe Krise

"Ich bin aus allen Wolken gefallen", sagt Jennifer Teege im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa über diesen Tag in der Bibliothek. Fünf Jahre ist das jetzt her. Die bildhübsche Frau mit den langen Beinen und den dunklen, langen Haaren sitzt entspannt und in sich ruhend in einem Hotel.

Die Entdeckung ihrer Familiengeschichte hatte die Hamburger Werbetexterin und Mutter zweier Söhne in eine tiefe Krise gestürzt: Sie nimmt die professionelle Hilfe eines Psychologen in Anspruch, trifft ihre Mutter wieder, die sie viele Jahre nicht gesehen hat und beschäftigt sich intensiv mit der Vergangenheit. Mit der Journalistin Nikola Sellmair recherchiert sie ihre Familiengeschichte, reist nach Polen und Israel, wo Freunde von ihr leben. Am Ende ihrer Reise stellt sie fest: "Jede Wahrheit ist besser als Schweigen".

In "Schindlers Liste" spielt Ralph Fiennes ihren Opa

"Ich war mir nicht mehr sicher: Wer bin ich? Bin ich Jennifer, oder bin ich nur noch Jennifer, die Enkelin von Amon Göth?", sagt die heute 43-Jährige. Sie liest alles über ihren Großvater, was sie finden kann. "Es ist, als würde ich in ein Gruselkabinett eintreten", schreibt sie in ihrem Buch: Amon Göth, ab 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Plaszow in Krakau, war für seine besondere Grausamkeit bekannt.

Im Film "Schindlers Liste" erschießt er, gespielt von Ralph Fiennes, vom Balkon seiner Villa aus Häftlinge. 1946 wurde der "Schlächter von Plaszow" in Krakau gehängt. Jennifer Teege besucht die ehemalige Villa ihres Großvaters in Krakau, die immer noch steht, besichtigt das Schindler-Museum und das ehemalige jüdische Ghetto. Eine Erklärung, wie ihr Großvater so etwas tun konnte, findet sie nicht. "Ich werde es niemals ganz verstehen."

Seine letzten Worte waren "Heil Hitler"

An Amon Göth, der nach dem Krieg keinerlei Reue zeigte und dessen letzte Worte "Heil Hitler" waren, hat Jennifer Teege keine Fragen mehr. Anders ist es jedoch mit seiner Lebensgefährtin, Ruth Irene, ihrer geliebten Großmutter, bei der sie sich als kleines Mädchen so geborgen fühlte. Wie konnte sie, die mit in der Kommandeursvilla lebte, diesen Mann lieben und seine Taten bis zu ihrem Tod 1983 leugnen? "Um meinen Großvater trauere ich nicht. Aber um meine Großmutter. Ich trauere um den Menschen, der sie nicht war."

Auch zu ihrer Mutter, die sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat, versucht Teege eine Annäherung. Das ist für sie besonders schmerzhaft, weil sie sich gleichzeitig auch mit dem Trauma auseinandersetzen muss, warum ihre Mutter sie als Kind zur Adoption freigegeben hat. Doch die Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit heilt auch Wunden.

Nach drei Jahren offenbart sie sich Freunden in Israel

"Wenn ich jetzt ihre Geschichte betrachte, kann ich besser verstehen, warum sie sich nicht in der Lage sah, mich aufzuziehen", sagt Teege heute. "Ich kann auch nachempfinden, warum sie so lange über die Vergangenheit geschwiegen hat." Ihre Mutter Monika Göth, geboren 1945, lassen die Verbrechen ihres Vaters, obwohl sie ihn nie kennengelernt hat, ihr ganzes Leben lang nicht los. "Ich habe Abstand gewonnen. Vielleicht habe ich das geschafft, was meiner Mutter nie gelungen ist", sagt die Autorin.

Eine besonders schwere Aufgabe steht ihr noch bevor: Bisher hatte sie sich nicht getraut, ihren Freundinnen in Israel von ihrer Familiengeschichte zu erzählen - zu groß war die Angst vor ihren Reaktionen. Was, wenn Verwandte von ihnen im KZ Plaszow ums Leben gekommen sind? Mehrere Jahre hat Teege in Israel studiert, die Freundschaften halten bis heute. Doch sie möchte es anders machen als ihre Mutter, das Festhalten an der Vergangenheit hilft ihrer Ansicht nach den Opfern nicht. "Es gibt keine Erbschuld. Jeder hat das Recht auf eine eigene Biografie."

Sie offenbart sich schließlich ihren Freundinnen, fährt drei Jahre nach der Entdeckung des Buches wieder nach Israel - und wird mit offenen Armen empfangen. "Vergiss Amon Göth. Du bist Jenny!", sagt ihre Freundin Noa. Und Jennifer Teege ergänzt: "Es ist wie immer, nur schöner, weil nichts mehr zwischen uns steht."

(dpa)
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