Der Schriftsteller im Interview Martin Walser: Ich bin ein Muttersohn

Düsseldorf (RP). In seinem neuen Roman setzt sich Martin Walser nicht mit der Gesellschaft auseinander, sondern mit dem Glauben. Dazu hat er auch die Jesus-Biographie von Benedikt XVI. gelesen. Gott, so der Autor, ist die Unanschaulichkeit schlechthin. Der Roman erscheint am 15. Juli.

Viel ist über diesen Roman schon spekuliert worden — über das neue Buch von Martin Walser, in dem der 84-jährige Büchner- und Friedenspreisträger zum ersten Mal ausführlich über den Glauben schreibt. Der Roman "Muttersohn" wird am 15. Juli in Deutschland erscheinen.

Was unterscheidet den Muttersohn vom Muttersöhnchen?

Walser Mein Roman.

Mit welchen Folgen?

Walser Ich habe zwar nicht das Buch geschrieben, um diese schmähliche Verballhornung des Wortes zu korrigieren. Aber man kann schon sagen, dass das Wort Muttersohn so gut wie ausgestorben ist. Überlebt hat nur diese lächerliche und natürlich hämische Form des Muttersöhnchens.

Was sagt das über die Gesellschaft aus, wenn wir für eine besondere Beziehung zur Mutter nur noch ein hämisches Wort haben?

Walser Ich bin nicht verantwortlich für diese Kulturentgleisung, ich stelle das auch nur fest. Aber offenbar haben genügend Leute die Beziehung von der Mutter zum Sohn und vom Sohn zur Mutter kritisch betrachtet und waren schnell bereit, diese zu gute Beziehung zu ahnden.

Sind Sie selbst ein Muttersohn?

Walser Absolut.

Der Held Ihrer Geschichte, Anton Percy Schlugen, soll, so die Mutter, ohne Beteiligung eines Mannes gezeugt worden sein. Ist damit in dieser Figur eine Art Jesus-Imitation mitangelegt?

Walser Die Vorstellung, dass zu einer Zeugung kein Mann nötig sei, ist für Percy eben eine Lieblingsvorstellung. Ganz gleich, ob das mit dem Glauben zu tun hat. Nur, er möchte das einfach so sehen und keinen davon überzeugen. Das Weihnachtsevangelium ist eine der schönsten Geschichten, die je geschrieben worden sind — auch das macht auf ihn einen Eindruck. Zur Mutterlegende kommt noch hinzu, dass Percy schönheitsabhängig ist. Je schöner eine Vorstellung ist, desto mehr wirkt sie auf Percy.

Wie viel Walser steckt in den Hauptfiguren des Romans vor allem in Glaubensfragen?

Walser Für den Glauben und die Glaubensempfindungen ist in dem ganzen Buch ja der Professor Feinlein zuständig. Und für ihn geht der Glaube weit über das Religiöse hinaus. Und was von mir da drin ist? Alles, ganz und gar. Das kann ich auch nur nachträglich sagen. Ich habe bei meinem Helden Percy nur gemerkt: Da will eine Figur aufs Papier, und dann merkte ich, dass diese Figur alle Helligkeit aufnehmen kann, die ich bisher in anderen Geschichten nie habe unterbringen können. Diesmal aber: die reine Helligkeit. Sein Bedürfnis, dies auch mitzuteilen, gehört dazu. Ich habe das nie ausleben dürfen. Das Schreiben produziert so etwas von selber. Das bedeutet auch: Der gesellschaftliche Anteil ist im Vergleich zu meinen früheren Büchern gleich null. Es war für mich eine reine Freude, dieser Figur auf dem Papier zu folgen. Nach so viel Gesellschaftsdienst, den ich hinter mir habe, ist das eine Erlösung.

Christen kennen das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen. Sie gehen weiter, indem Feinlein sagt: Gäbe es Gott, dann gäbe es kein Wort dafür. Ist unser Sprechen über Gott dann der Beweis seiner Nichtexistenz?

Walser So herum kann man es auch drehen.

Die Benennung von Gott ist auch seine Vereinnahmung . . .

Walser . . . und es ist auch unser Bedürfnis, ihn allzu anschaulich zu machen. An Maria kann man sich wenden, die hat ein Gesicht; aber Gott ist die Unanschaulichkeit schlechthin.

Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?

Walser Ich kann es nur konkret sagen: Vor zwanzig Jahren jedenfalls hätte ich so ein Buch überhaupt nicht schreiben wollen und auch nicht schreiben können. In der Feinlein-Figur hat mich schon fasziniert, dass das Glaubenkönnen eine menschliche Fähigkeit ist, die vergleichbar ist mit dem Musikalischsein. Feinlein sagt: Wir glauben mehr, als wir wissen. Und das hat mich jetzt sehr interessiert. Ich könnte jetzt keinen Roman mehr schreiben, in dem die kleine Mathematik des Gesellschaftlichen auf- und abgehandelt wird.

Sind Sie schon einmal dem Papst begegnet?

Walser Nein, aber ich hätte nichts dagegen. Ich habe seine Jesus-Biographie gelesen und war fasziniert davon. Und das war sicherlich eine Begleitmelodie meines Schreibens am "Muttersohn". Solche Melodien habe ich mir gern zuspielen lassen.

Benedikt XVI. verfügt ja auch über eine sehr klare Sprache.

Walser Ja. Ich habe mir viele Sätze daraus notiert, die mich beeindruckt haben.

Ist für Sie das Schreiben eine Form der Erlösung?

Walser Man muss sagen: die einzige. Und Erlösung kann man nicht beabsichtigen, nicht inszenieren und nicht planen. Sie muss sich ergeben. Unwillkürlich. Und wenn das fertig ist, hat man sogar die Hoffnung, dass andere daran teilnehmen könnten — lesend. Das Lesen ist nicht vergleichbar mit dem Musikhören, sondern mit dem Musizieren. Jeder liest seinen eigenen Roman, nicht meinen Roman. Und das ist das Schönste, was es überhaupt gibt: diese Fähigkeit zur Teilnahme.

Wissen Sie, welchen Anteil Ihre Mutter an Ihrer Sprachenwicklung und Ihrer Sprachfähigkeit hatte?

Walser Wissen Sie das denn noch für sich?

Ich glaube nicht.

Walser Um ein zutiefst zurechnungsfähiger Mensch zu sein, muss nicht ein literarisch zu nennendes Sprachverhältnis vorliegen. Meine Mutter war — und das spielt vielleicht eine viel größere Rolle — immer eine total angstbesetzte Person. Und das überträgt sich auf die Kinder. Ich weiß nicht, ob ich sonst ein solcher Leser geworden wäre. Das hat nämlich damit zu tun, dass ich bei Karl May die ganzen Angstorgien durchlebt habe mit einem halbwegs guten Ende. So etwas braucht man als Kind, wenn man merkt, die Mutter ist nichts als ängstlich.

Kann man Ihren neuen Roman auch als ein literarisches Evangelium bezeichnen — also als eine Frohe Botschaft?

Walser Frohe Botschaft — damit wäre ich sofort einverstanden. Frohe Botschaft, das ist es für mich wirklich geworden.

(RP)
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