Lucky Luke wird 75 Der Glücksritter

Am 14. November 1946 tauchte der Comic-Held zum ersten Mal in einem Almanach auf. Seither hat er nicht nur den Wilden Westen erobert, sondern auch die Herzen von Millionen Lesern. Seinen Erfolg verdankt er auch seiner originellen Entourage.

 Seite 75 Jahren im Wilden Westen unterwegs: Lucky Luke.

Seite 75 Jahren im Wilden Westen unterwegs: Lucky Luke.

Foto: Egmont Verlag

Wer mit 75 noch schneller zieht als sein Schatten, der ist nicht von dieser Welt. Zumal jede Kugel trifft, jede Pointe sitzt und jede Story glücklich endet. Tatsächlich reitet Lucky Luke nur auf dem Papier in den Sonnenuntergang, dafür genießt er das Privileg der Unsterblichkeit. Am 14. November 1946 begeisterte der Lonesome Cowboy zum ersten Mal die Leser des belgischen Spirou-Almanachs, eines Comic-Magazins, das in der Nachkriegszeit den Hunger nach leichter Unterhaltung stillen sollte. Damals fehlte dem Westernhelden allerdings nicht nur ein Finger pro Hand, sondern auch die charakteristische schlanke Gestalt. 

 Etwas gedrungen wirkte dieser Ur-Lucky-Luke, obwohl schon ausgestattet mit fast allen ikonischen Insignien des Longsellers: weißer Hut, rotes Halstuch, gelbes Hemd, Jeans, Stiefel mit Sporen. Erst Jahre später folgten schwarze Weste, lässige Fluppe sowie der Grashalm, der sie ersetzte. Dennoch hatte Zeichner Maurice de Bévère bereits mit dieser ersten Geschichte, „Arizona 1880“, eine Figur erschaffen, die die Zeiten überdauern sollte. Einen europäischen Vetter großer amerikanischer Vorbilder wie Micky Maus oder Donald Duck. Genauso alliterierend wie diese, und unterwegs im Wilden Westen, der Heimat von Freiheit und Abenteuer. 

 Maurice de Bévère, der sich als Künstler kurz Morris nannte, imaginierte sich diese Szenerie zunächst aus der Fantasie. Gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Franquin stahl er bald Filmfotos aus den Schaukästen der Kinos, um seine Western-Landschaften möglichst detailgetreu zu kreieren. Erst 1948 reiste Morris in die USA, verbrachte insgesamt mehrere Jahre dort, lernte die Macher des „MAD“-Magazins kennen, studierte deren Stil, ihre Herangehensweisen an Themen. Immer mehr kristallisierte sich für ihn heraus, wie er seine Geschichten anlegen wollte – als liebevolle, herzliche wie bissige Parodie auf Westernfilme. 

 Logisch, dass in den inzwischen mehr als 100 Bänden reihenweise Schauspieler auftauchten, die auf der Leinwand Revolverhelden oder andere Western-Figuren spielten. Neben Kirk Douglas und John Wayne („Die Daltons in der Schlinge“) auch schillernde Gestalten wie Jack Palance („Lucky Luke gegen Phil Steel“) oder Lee van Cleef („Der Kopfgeldjäger“). Etliche Ausgaben orientierten sich darüber hinaus an Filmgeschichten oder griffen diese parodistisch auf, wie „High Noon in Hadley City“, das den Klassiker „High Noon“ („Zwölf Uhr Mittags“) verulkte. Dazu platzierten Morris und sein kongenialer Autor Rene Goscinny unendlich viele Anspielungen auf Filme, Stars, Comic-Figuren und Kollegen in ihren Heften, dass sich diese über die Story hinaus für Connaisseurs lesen lassen als Zitatenfundus, als ein überquellendes Kompendium aus Querverweisen und Hommagen. 

 Treffsicher in jeder Lebenslage.

Treffsicher in jeder Lebenslage.

Foto: Egmont Verlag

 Zum anhaltenden Erfolgsrezept von Lucky Luke gehört aber auch das spezielle Personal, das Morris seinem Helden an die Seite gestellt hat. Ist doch der Cowboy in seiner Perfektion, in seiner moralischen wie buchstäblichen Unfehlbarkeit auf Dauer etwas langweilig. Selbst das Rauchen gewöhnte Morris ihm 1983 ab (dafür erhielt der Zeichner eine Auszeichnung der Weltgesundheitsorganisation), ließ ihn fortan auf einem Grashalm kauen. Scheitern, Zaudern oder Verzagtheit zählen nicht zu Lucky Lukes Optionen, dafür sind andere zuständig. Zum Beispiel Jolly Jumper, sein treuer Apfelschimmel. Jolly Jumper ist für Lucky Luke in etwa das, was Struppi für Tim und Obelix für Asterix bedeutet, Gefährte und Gewissen, Beschützer und Betreuer; er kocht Tee, spielt Schach, sattelt sich selbst, ist jederzeit zur Stelle, wenn flotte Flucht angeraten ist oder, denn sprechen kann er auch, ein ironischer Kommentar. Wenn Luke schneller zieht als sein Schatten, denkt Jolly Jumper schneller als sein Reiter. 

 Denken wiederum gehört nicht zu den Stärken von Lukes Hund Rantanplan, dessen Name an den allerdings superschlauen Filmvierbeiner Rin-Tin-Tin erinnern soll. Rantanplan hat gute Absichten, ist aber schwer von Begriff, um nicht zu sagen doof, und interessiert sich vor allem für die nächste Mahlzeit. Ist Rantanplan der dümmste Hund des Wilden Westens, sind die Daltons, die er bewachen soll, die dämlichste Verbrecherbande. Joe, William, Jack und Averell haben sich zum Ziel gesetzt, Lucky Luke zu erledigen, was sie zielsicher immer wieder aufs Neue hinter Gittern bringt. Schwarz-gelb gestreifte Sträflingskluft ist daher ihr Erkennungszeichen, auch wenn kein Gefängnis in der Lage ist, sie lange einzusperren – konzentrieren sie ihr Restfünkchen Intelligenz doch einzig aufs Ausbrechen. 

 Diese Daltons seien es gewesen, die ihm am meisten Freude bereitet hätten, erzählte Morris in einem Interview, weil diese zu einem schlechten Zweck vereinte Familie doch für so viele komische Aspekte tauge. Wobei es René Goscinny war, der ab 1955 die Szenarien entwarf und die Texte schrieb. Für Morris war die Zusammenarbeit ein Glücksfall, die beiden Comic-Besessenen – Goscinny hatte mit Albert Uderzo auch Asterix erschaffen – ergänzten sich perfekt, wussten genau, worauf der andere hinauswollte. An geschichtlicher Genauigkeit allerdings waren sie nicht interessiert. Obwohl reihenweise an historische Personen angelehnte Figuren auftreten, von Billy the Kid über Calamity Jane, Wyatt Earp und Sitting Bull bis zu Buffalo Bill, und tatsächliche Ereignisse eine Rolle spielen, galt für Morris und Goscinny immer: Entertainment schlägt Exaktheit. So durfte sich in Lucky Lukes Universum begegnen, wer in die Story passt und den größten Spaß verspricht, unabhängig vom tatsächlichen Zeitgeschehen. Frei nach dem Motto: Im Westen öfter mal was Neues. 

 Wie es sich für einen unsterblichen Helden gehört, überlebte Lucky Luke auch den Tod seines Schöpfers. Morris drängte noch kurz vor seinem Ableben im Jahr 2001 darauf, dass die Reihe fortgeführt wird. Den Zuschlag bekam der Zeichner Achdé, der seit 2003 das große Erbe mit feinem Strich weiterführt. Er hat die Reihe gemeinsam mit den Szenaristen und Autoren Laurent Gerra und zuletzt Jul auch behutsam aktualisiert, zum Beispiel im Band 99, „Fackeln im Baumwollfeld“, die „Black-Lives-Matter“-Debatten aufgegriffen, indem er den Klu-Klux-Klan als Bösewichter auftreten ließ und den schwarzen US-Marshall Bass Reeves als Vertreter des Gesetzes. Überhaupt ist der Comic-Cowboy in den vergangenen Jahren immer mehr in die popkulturelle Szene diffundiert; mehrere Künstler widmeten ihm Hommagen, etwa Matthieu Bonhomme oder Mawil. In diesen Geschichten fährt Lucky Luke plötzlich Fahrrad oder wird zum Helden einer düsteren Geschichte („Der Mann der Lucky Luke erschoss“). In Ralf Königs Version („Zarter Schmelz“) trifft der ansonsten in Geschlechterfragen eher ungelenke Held auf schwule Cowboys. 

 Für den glücklichen Westernhelden hat es also noch lange nicht High Noon geschlagen. Rund 30 Millionen Mal haben sich die Geschichten um den schlaksigen Viehtreiber alleine in Deutschland verkauft, weltweit zehnmal so oft. Es stimmt also ganz und gar nicht, was Lucky Luke einmal über sich selber gesagt hat: „Ich habe lediglich einen Namen, aber nicht das Zeug zu einer Wildwest-Legende.“ So lange es Leser gibt, wird er daher weiter in den Sonnenuntergang reiten, ein melancholisches Lied auf den Lippen: „I’m a poor lonesome cowboy, and a long way from home…“

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