Der berühmte Comic-Cowboy Lucky Luke — auch mit 70 noch schneller als sein Schatten

Düsseldorf · Lucky Luke ist längst im Rentenalter – aber abenteuerlustiger denn je. Unser Autor hat fast sein ganzes Leben mit dem berühmten Comic-Cowboy verbracht. Und will die Begeisterung für den einsamen Helden an seinen Sohn weitergeben.

Lucky Luke — auch mit 70 noch schneller als sein Schatten
Foto: Grafik: Radowski

Lucky Luke ist längst im Rentenalter — aber abenteuerlustiger denn je. Unser Autor hat fast sein ganzes Leben mit dem berühmten Comic-Cowboy verbracht. Und will die Begeisterung für den einsamen Helden an seinen Sohn weitergeben.

Meine erste Erinnerung an einen der Helden meiner Kindheit ist eng verbunden mit Freddy Quinn. Ausgerechnet Freddy Quinn, jener Schnulzenbarde, bei dessen schwülstigen Liedern ("Junge, komm bald wieder") sich mir noch heute der Magen umdreht. Es waren die 80er Jahre. Ich lümmelte mich auf dem Teppich in meinem Kinderzimmer vor meinem Kassettenrekorder. Es war mir gelungen, meiner Mutter beim Einkaufen eine neue Hörspielkassette abzutrotzen.

Aus den Lautsprechern dröhnte Freddy Quinns markante Stimme, dazu eine quäkende Mundharmonika: "Einsamer Cowboy, bist so weit, weit von zu Haus..." — die Titelmelodie für eine kurzlebige "Lucky Luke"-Hörspielserie. Folge acht, "Tortillas für die Daltons", sollte der Beginn einer langen Freundschaft werden — nicht mit dem Schmusesänger, aber mit dem Mann, "der schneller zieht als sein Schatten".

Mit Lucky Luke öffnete sich der Zugang zur weiten Prärie

Ich hatte damals nur eine recht nebulöse Vorstellung vom Wilden Westen. Denn so inkonsequent meine Mutter dieses eine Mal bei meiner Bettelei während des Einkaufs gewesen war, so klar war ihre Linie bei meinem sonstigen Medien- und insbesondere Fernsehkonsum. Gewalt kam ihr nicht in die Tüte. Doch mit Lucky Luke, erst in Hörspiel-, später in Heft-Form, öffnete sich mir der Zugang zur weiten Prärie, zu Schießeisen, Halunken, Glücksrittern, zum Teeren und Federn, zu Dynamit und auch zu leichten Mädchen in verrauchten Saloons. In meinen Augen nicht weniger als ein Paradies!

70 Jahre reitet der Mann mit weißem Hut, gelbem Hemd, rotem Halstuch, schwarzer Weste, blauen Jeans und braunen Stiefeln schon durch den Wilden Westen. Erdacht hat ihn der Belgier Maurice de Bévère, genannt Morris. Als das Zeichentrickstudio, in dem er arbeitete, kurz nach dem Krieg Konkurs anmeldete, verlegte sich der Zeichentrickkünstler kurzum auf Comics. Er entwickelte die Karikatur eines Westernhelden, den Namen Lucky Luke schlug Morris' Bruder vor, genauso den vom treuen, oft auch sarkastischen Pferd Jolly Jumper - es war die Zeit der Alliterationen.

1955 kam die Figur "Jerry Spring"

Zu Beginn fiel es Morris recht schwer, Anregungen für die Szenerien zusammenzubekommen. "Mein beliebtestes Material waren Filmfotos", erzählte der Comicautor später einmal. "Und die musste ich meistens aus den Schaukästen vor den Kinos stehlen, weil sie unverkäuflich waren." Komplize bei diesen Beutezügen war André Franquin, Schöpfer des berühmten Marsipulamis und langjähriger Zeichner von "Spirou und Fantasio".

Doch irgendwann reichten die Filmbilder allein Morris nicht mehr aus. Nur zwei Jahre nach dem Debüt seines Helden machte er sich mit Franquin und dem Zeichner Joseph Gillain alias Jijé auf zu einer mehrjährigen Studienreise in die USA. Dort knüpften die Freunde nicht nur Kontakt zur amerikanischen Comic-Szene — insbesondere zu den Machern des "MAD"-Magazines, sondern sammelten Bilder von Saloons, Cowboys, Indianern, Waffen und Kulissen.

Jijé setzte die Erfahrungen dieser Zeit später ebenfalls im Comicformat um: 1955, neun Jahre nach Lucky Lukes erstem Ritt, schuf Jijé mit seiner Figur "Jerry Spring" eine realistische Variante des einsamen Cowboys — mit Ausnahme der schwarzen Weste entspricht Springs Kleidung haargenau der von Lucky Luke.

Kompromissbereit bei Charakterzügen seines Helden

Für Jerry Spring war ich zu Beginn meiner Comic-Karriere zu jung. Mir blieb Morris' karikaturenhaltiger Kosmos, dem so skurrile Figuren wie der treudoofe Gefängnishund Rantanplan oder die raffgierigen Dalton-Brüder Joe, Jack, William und Averell entstammen — letztere übrigens Vettern der echten Dalton-Bande. Slapstick war für mich folgerichtig fester Bestandteil des Wilden Westens. Wenn man mit dem Colt gut zielt, dann fliegt dem Gegenüber allenfalls die Pistole aus der Hand. Tödliche Verletzungen hatten in meiner Welt keinen Platz. Das führte mitunter zu Irritationen bei gleichaltrigen Spielkameraden.

Dabei hatte Morris es ursprünglich deutlich rustikaler zugehen lassen wollen. Doch er beugte sich der staatlichen Zensur, die offenbar ähnlich streng Maßstäbe bei der Darstellung von Gewalt hatte wie meine Mutter. Auch bei den Charakterzügen seines Helden zeigte sich Morris kompromissbereit: "Meinen Lucky Luke musste ich ja nach eindringlicher Anweisung meines frühen Verlegers Dupuis als einen niemals versagenden Helden, als leuchtendes und vor allem unfehlbares Beispiel darstellen. Doch leider wird ein allzu perfekter Held schnell langweilig."

Dass dieses Schicksal Lucky Luke nicht ereilte, liegt wohl auch an René Goscinny. Der Asterix-Autor, den Morris während seiner USA-Zeit in New York kennenlernte, schrieb von 1955 bis 1977 zahlreiche Geschichten rund um den "Lonesome Cowboy". Morris und Goscinny ließen reihenweise echte Western-Helden und -schurken auftreten: Calamity Jane, den selbst ernannten Richter Roy Bean oder die Gangster Billy the Kid und Jesse James.

Die Filme waren vor allem: peinlich

Lucky Luke trat in all diesen Abenteuern als extrem cooler Held mit viel Humor und einem klaren moralischen Kompass auf. Ein Störgefühl hatte ich immer, dass ihm die Damenwelt bis auf wenige Ausnahmen extrem wohlgesonnen war, es für eine echte Liaison aber nie reichte. Wie auch, wenn am Ende der obligatorische Ritt in den Sonnenuntergang steht?

Für deutlich mehr Irritationen als Lukes Askese — die Weltgesundheitsorganisation verlieh ihm übrigens einen Preis, als er in Band 65 das Rauchen aufgab — sorgten bei mir die filmischen Umsetzungsversuche: Egal ob Terence Hill, Til Schweiger oder Jean Dujardin — sie alle scheiterten. Die Filme waren vor allem: peinlich.

Ich war ohnehin ein Freund der Bücher. Im Teenageralter versetzte ich allerdings in einem Anfall geistiger Umnachtung meine Sammlung auf dem Flohmarkt. Auch wenn der Begriff Sammlung bei sieben Bänden (Lieblingsband Nummer 57 "Der Kaiser von Amerika", weil so schön viele Kanonen und Soldaten darin vorkamen) wohl deutlich zu hoch gegriffen war, bereute ich noch am selben Abend den Verkauf. Erst vor einem Jahr wurde dieser Mangel endgültig beseitigt, denn meine Frau besorgte mir zum Geburtstag alle Bände — mühsam über das Internet zusammengetragen. Ich war selig.

Gerade erst erschien Band 94 — "Martha Pfahl"

Als Erwachsener weiß ich andere Dinge an den Comics zu schätzen: Etwa die Cameo-Auftritte berühmter Schauspieler wie Louis de Funès, Christopher Lee, David Niven oder Lee van Cleef. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Immer noch erscheinen neue Abenteuer: Inzwischen ist es nicht mehr Morris, der hinter den Comics steht. Der Zeichner stürzte 2001 in seiner Wohnung in Belgien so unglücklich, dass er wenig später an den Folgen starb. In seinem Testament hatte der 77-Jährige mit Weitblick festgelegt, dass Lucky Luke weitergeführt werden solle.

Gerade erst erschien Band 94 — "Martha Pfahl". Einmal mehr widmen sich die Morris-Nachfolger Achdé und Laurent Gerra in Kurzepisoden den Kindertagen des Cowboys. Der größte Feind sind nicht die Daltons, sondern Badezuber, Schule und Erwachsene im Allgemeinen. Diese One-Pager sind unterhaltsam, reichen aber nicht an das Morris-Original heran.

Inzwischen bin ich selbst Vater eines Sohnes. Und auch wenn der Kleine noch weit vom lesefähigen Alter entfernt ist, darf er sich auf unbeschränkten Zugang zu den Abenteuern des Cowboys freuen. Denn — um Freddy Quinn zu zitieren: "Dein Weg zu neuen Taten, ist noch viele Meilen lang, reite weiter, immer weiter, in den Sonnenuntergang."

(maxi)
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