Nobelpreise Literaturnobelpreis: Alle tippen auf Swetlana Alexijewitsch

Stockholm · Beim Literaturnobelpreis verhält es sich so: Alle spekulieren vorher eifrig, und am Ende zaubert die Jury eine Überraschung aus dem Hut. Wenige Tage vor der Verkündung ist eine Frau heißeste Kandidatin.

Nobelpreis 2015: Diese TV-Charaktere haben die Auszeichnung verdient
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Diese TV-Charaktere haben die Auszeichnung verdient

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Die Nobeljury hat entschieden: Am kommenden Donnerstag wollen die Schweden verraten, wer den Literaturnobelpreis 2015 bekommt. Wer ihn bekommen sollte, darüber sind sich die Verleger und Kritiker in der Stockholmer Literaturszene einig wie selten. Wo man sich vor der Bekanntgabe auch umhört - alle tippen auf die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch (67) aus Weißrussland.

Dafür, wie die gelernte Journalistin die Lebenswelt der Menschen in ihrer Heimat, der Ukraine und Russland in literarischen Reportagen nachzeichnet, bekam sie 2013 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Alexijewitsch schon länger Favoritin

"Seit einigen Jahren drehen sich die Gerüchte nun um sie", sagt Susanna Romanus vom Verlag Norstedts. "Schon vor zwei Jahren, als Alice Munro den Nobelpreis bekam, waren sich hier viele sicher, dass Alexijewitsch ihn bekommen würde." Auch 2014 war sie Favoritin.

Aber "sicher", was heißt das beim Literaturnobelpreis schon? "Sicher ist einzig und allein, dass wir wirklich nichts wissen - und die Akademie es liebt, uns zu überraschen", sagt Romanus und lacht.

Die Schwedische Akademie, die den Nobelpreis vergibt, hat mit der 53-jährigen Sara Danius zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau an ihrer Spitze. Deshalb verkündet in diesem Jahr auch zum ersten Mal eine Frau den Preisträger der berühmten Auszeichnung. Und: "Sie interessiert sich sehr für Journalismus", sagt die Kulturredakteurin Maria Schottenius, die bei "Dagens Nyheter" mit Danius zusammengearbeitet hat. Aber ob die Wahl der Jury zu deren Premiere auch auf eine Frau gefallen ist?

Nobel-Komitee hüllt sich in Schweigen

Dieses Geheimnis hat das verschwiegene Komitee gewohnt sorgsam gehütet. Romanus kennt Danius gut - und ist überzeugt, dass sie trotzdem "kein einziges Wort" aus ihrer Freundin herausbekommen würde. Eine handfeste Überraschung gelang der Jury auch 2014 mit dem international nahezu unbekannten Franzosen Patrick Modiano (70).

Trotzdem setzen die Zocker in diesem Jahr wieder auf die alten Favoriten. Oben auf den Wettlisten bei Anbietern wie Ladbrokes thronen verlässlich - hinter Alexijewitsch - Autoren wie Haruki Murakami (66), Philip Roth (82) und Ngugi Wa Thiong'o (77).

"Mein Bauchgefühl sagt mir: Murakami steht nicht schlecht da", sagt die MDR-Kulturredakteurin Katrin Schumacher. Und: "Nach dem Europäer Modiano wird es tendenziell jemand aus einem anderen Kulturkreis." Also Murakami? Oder Kenias Ngugi Wa Thiong'o?

Seit dem Tod von Chinua Achebe gilt der Autor als chancenreichster afrikanischer Kandidat auf den begehrten Preis. Mit dem Südafrikaner John M. Coetzee (2003) kam zuletzt vor über einem Jahrzehnt ein Preisträger von dem Kontinent. Ein Afrikaner könnte also mal wieder an der Reihe sein, meinen Beobachter.

Presse auf falsche Fährten gelockt

Doch solche Rechnungen stellt die Jury nicht an, sagt Romanus: "Ich glaube nicht, dass sie nach dem Motto vorgehen: Jetzt ist es Zeit für Afrika." Stattdessen locken die Schweden die Presse gern auf falsche Fährten. Nachdem der damalige Ständige Sekretär Peter Englund 2011 in Interviews erklärt hatte, das Komitee habe sich bei der Auswahl in der Vergangenheit vielleicht etwas "eurozentristisch" verhalten, bekam ausgerechnet der Schwede Tomas Tranströmer den Nobelpreis.

Der schwedische Kritiker Mikael van Reis hat Zweifel, dass die Wahl der Juroren auf einen der Stars der Literaturszene fällt. "Sie wählen Künstler aus, keine Berühmtheiten", sagt der frühere Feuilletonchef der "Göteborgs-Posten". Das übersähen Journalisten oft.

Dass jetzt eine Frau auf dem Chefsessel der Schwedischen Akademie sitzt, hat jedenfalls keinen Einfluss auf die Entscheidung. "Es gibt eigentlich nur ein Kriterium: Qualität", sagt Sara Danius ernst. Die Literaturwissenschaftlerin sitzt an ihrem stattlichen Schreibtisch, der in der Mitte des riesigen Büros in der Stockholmer Altstadt trotz seiner Größe etwas verloren wirkt. "Aber wenn man sich die Nobelpreisträger der letzten 25 Jahre ansieht", fügt sie dann noch hinzu, "kann man eine Tendenz sehen, dass es viel mehr Frauen gibt."

(dpa)
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