Immer mehr Kinder- und Jugendbuchtitel Leseschub im Kinderzimmer

Wiesbaden (rpo). Seit der erste Harry-Potter-Roman 1998 auf Deutscherschien, hat der Hamburger Carlsen-Verlag 20,7 Millionen Bändeabsetzen können. Die deutsche Startauflage von "Harry Potter undder Halbblutprinz" beträgt nochmals zwei Millionen Exemplare. Obaber der legendäre Bucherfolg um den Besen fliegendenZauberlehrling tatsächlich einen Leseschub in DeutschlandsKinderzimmern ausgelöst hat, ist unter Fachleuten umstritten.

Für Dieter Schormann, Vorsteher des Börsenvereins des DeutschenBuchhandels, ist die Sache klar: "Ich bin mir sicher, dass HarryPotter einen ganz wichtigen Impuls für die Leseförderung gegebenhat und jetzt mit dem sechsten Band geben wird." Dies betreffenicht nur junge Leser. Fantastische Literatur werde seit HarryPotter von allen Generationen gelesen, von den Kindern bis zu denGroßeltern.

Für junge Menschen sei enorm wichtig, dass sie sich über medialeInhalte austauschen könnten, betont auch Bodo Franzmann,Leseforscher bei der Stiftung Lesen in Mainz. Wenn - wie bei denPotter-Romanen - über ein Buch geredet werde, animiere das auchKinder und Jugendliche zum Lesen, die sonst nie zum Buch greifenwürden. Franzmann ist sich daher sicher: "Harry Potter ist einZugpferd für die Leseförderung."

Wissenschaftler des Stuttgarter Instituts für angewandteKindermedienforschung kamen bei Befragungen von Kindern undJugendlichen allerdings zu einem eher ernüchternden Ergebnis.Harry-Potter-Fans konnten dabei kaum angeben, was in den angeblichgerade erst gelesenen Büchern passiert war. Viele räumten ein, dasssie die Bände nur angelesen und rasch wieder aus der Hand gelegthätten. Fazit der Stuttgarter Forscher: "Mit der Potter-Manie gingletztlich kein Leseaufschwung einher."

Irritierend ist auch, dass die PISA-Studie Deutschlands Schülernim Lesen just zu dem Zeitpunkt Mittelmaß bescheinigte, als derPotter-Boom schon mehrere Jahre andauerte: Ein vernichtendes Urteilüber die Lesefertigkeit der Generation Harry.

Kräftiger Anstieg bei Kinder- und Jugendbüchern

Wie viele Kinder- und Jugendbücher in Deutschland insgesamtverkauft werden, ist schwer zu sagen. Eine aussagekräftigeStatistik fehlt. Dass der Kinder- und Jugendbuchmarkt seit demersten Erscheinen des Zauberschülers in deutschen Buchhandlungeneinen Aufschwung erlebt hat, lässt sich aber kaum leugnen.

Im vergangenen Jahr brachten die deutschen Verlage nach Angabendes Börsenvereins nicht weniger als 5.178 neue Kinder- undJugendbuchtitel heraus, ein Plus von 67,6 Prozent gegenüber demJahr 1997. Gundel Mattenklott vom Berliner Institut fürGrundschulpädagogik sieht darin auch eine Sogwirkung derPotter-Bücher. Immerhin dauere es in der Regel ein bis zwei Jahre,bis ein neuer Roman von Joanne K. Rowling erscheine: "In derZwischenzeit greifen sie dann zu ähnlichen Büchern."

Dabei ist allen Fachleuten klar, dass Verkaufszahlen noch nichtsdarüber aussagen, ob die gekauften Bücher auch gelesen werden. Rund80 Prozent aller Kinder- und Jugendbücher, schätzt die StiftungLesen, werden von Erwachsenen gekauft, um sie an Kinder zuverschenken. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass mit denPotter-Büchern in punkto Leseförderung völlig neue Impulse einhergingen.

So verweist Franzmann darauf, dass mit dem fünften und demsechsten Band der Potter-Saga erstmals in Deutschlandenglischsprachige Bücher in den Verkaufshitlisten ganz vornestanden. Viele junge Leute hätten sich zusammen getan, um denneuesten Band gemeinsam zu übersetzen: "Das ist eine neueQualität."

Letztlich, glaubt Pädagogin Mattenklott, sind auchHarry-Potter-Boom und PISA-Frust zwei Seiten einer Medaille. Deralle Verkaufsrekorde brechende Zauberlehrling verweist nachEinschätzung der Wissenschaftlerin auf eine Spaltung der jungenGeneration in "hochmoderne Kinder" einerseits und"Modernisierungsverlierer" auf der anderen Seite. Während eineGruppe von Kindern und Jugendlichen Bücher, Fernsehen und Internetintensiv für sich nutze, ziehe die mediale Entwicklung an deranderen Gruppe weitgehend vorbei, erklärt Mattenklott: "DieModernisierungsverlierer, die erreicht auch kein Harry Potter."

(ap)
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