Buch-Kritik Joost Zwagerman: Onkel Siem und die Frauen

Onkel Siem hat sich das Leben genommen. Justus ist fassungslos. Der Onkel, der im Gegensatz zu Justus' spießigen Eltern immer fröhlich war, lebenslustig, temperamentvoll und unkonventionell. Justus weiß nicht, wie ihm geschieht. Sechs Jahre lang hatte er den Onkel täglich getroffen, zusammen mit ihm Hotels besucht und gemeint, er kenne seinen Onkel durch und durch. Siem war sein Vorbild. Nun muss Justus sein Idol demontieren.

 "Onkel Siem und die Frauen" von Joost Zwagerman.

"Onkel Siem und die Frauen" von Joost Zwagerman.

Foto: HASH(0x13c10558)

Justus Merkelbach, 26 Jahre alt, erzählt in der Ich-Form. Als Chefredakteur der Werbe-Gazette "Guten Morgen" besucht und bewertet er Hotels und Pensionen in Holland. Das Blatt hat eine traumhafte Auflage von 200.000 Exemplaren und liegt in Tourismusbüros und in Hotels gratis auf. Justus ist als jüngster Chefredakteur des Landes ein gefragter Interviewpartner, allerdings nur bei Lokalsendern und in Randzeiten oder in Gratisblättchen.

Mit Hilfe eines Psychotherapeuten versucht Justus nach dem Tod des Onkels, dem Wesen des Verstorbenen, damit auch sich selbst und der ganzen Familie näher zu kommen. Onkel Siem hatte beispielsweise ein Flair für Frauen, für Frauen der besonderen Art. Nicht für schöne Frauen, sondern für gewöhnliche, eher geschlechtslose Frauen: Die Unbescholtenen, die Ehrbaren liebte er.

Mit seiner Frau Tilly lebte er genügsam, beide bedauerten, keine Kinder haben zu können. Schließlich verließ Tilly ihn. Aber eine Erklärung für den Selbstmord ist das nicht. Eine Leidenschaft Siems waren kleine Landstraßen. An deren Ende erreichte man immer eine bescheidene Pension. Die obskuren Hotels und Pensionen bildeten die Marken auf seiner persönlichen Landkarte, die verschlafenen Nester der Niederlande waren seine Welt. Dann überkam ihn auch schon mal der Landstraßen-Blues.

Und bauernschlau war Onkel Siem - manchmal als Berufsmeckerer, Fremdenfeind oder als Witzfigur verschrien, verstand er es, sogar diesen Kritikern Anzeigen anzudrehen.

Das Buch "Onkel Siem und die Frauen" ist nicht so traurig, wie es vielleicht scheint. Der Autor beschreibt packend, wie der junge Justus versucht, dem Wesen seines Onkels auf die Spur zu kommen. Und er beschert dem Leser einen höchst überraschenden Schluss.

Zwagerman, 1963 geboren, ist einer der bekannten Schriftsteller der Niederlande, er wird zusammen mit Namen wie Leon de Winter und Harry Mulisch genannt. Mit "Onkel Siem und die Frauen" erscheint erstmals ein Roman von ihm auf Deutsch. Damit wird die Reihe der lesenswerten niederländischen Schriftsteller um einen gewichtigen Namen bereichert.

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