Buch-Kritik Jan Faktor: Schornstein

Wenn der Mensch körperlich verfällt, erzeugt er Ekel bei seinen Mitmenschen. Jan Faktor beschreibt diese Wahrheit und berichtet über jemanden, dessen Weg kontinuierlich nach unten geht: Schornstein heißt der Mann, der irgendwann einmal gearbeitet hat, sogar als Werbetexter, also dort, wo Freundlichkeit gepaart mit Makellosigkeit scheinbar das Leben bestimmen und Illusionen verkauft werden.

 "Schornstein" von Jan Faktor.

"Schornstein" von Jan Faktor.

Foto: HASH(0x16f32f18)

Das ist lange her und Schornsteins Verfall so weit fortgeschritten, dass er schon einen Teil seiner Person ­ nämlich den Vornamen ­ verloren hat. Nach einem Herzinfarkt und mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit treibt er durch die Mühsal des Lebens, dessen Steuerung ihm an vielen Wochen entglitten ist. Schornsteins Dasein fehlt die Perspektive, er sammelt die wenigen Kräfte für den Kampf gegen einen übermächtigen Gegner: die Kassenärztliche Vereinigung, die seine Therapien, die Blutwäsche, nicht zahlen will.

Welch geniale Idee: Ausgerechnet ein Bürokratiemonster als Parallele zum Niedergang des Menschen aufzubauen. Ein Sammelbecken für die Wut gegen das blöde System. Jan Faktor hätte die Chance, so viel Hoffnung in seine Geschichte zu packen, dass er einen kranken David schafft, der Goliath niederringt, aber das gönnt er dem Helden nicht. Schornstein blutet, kotzt und leidet. Ihm bleibt der Scharfsinn, seinen Zustand exakt zu beschreiben. Mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit referiert Faktor gleich zu Beginn über das Erbrechen: "nicht stoßartig und eruptiv”, sondern "die Magensuppe floß im gleichmäßigen Strom aus ihm heraus, geräuschlos ­ ohne das übliche Würgen”. Keine Lektüre vor dem Frühstück. Und: Dieser Roman wird nie verfilmt werden.

Der Ekel ist aber nicht Motor des Buches. Jan Faktor (54) hat schon vor seinem Romandebüt bewiesen, wie präzise er Sprache einsetzt. In der Trostlosigkeit steckt immer ein Funke Heiterkeit. Schornstein bleibt immer ein Mensch, auch wenn er die Gesellschaftstauglichkeit verliert. Er findet Freunde nur am brüchigen Rand der Gesellschaft ­ und in seiner Frau, Anne. Die zeigt uns, dass unser Ekel nicht viel mehr ist als die Arroganz der Gesunden und Erfolgreichen vor dem Leben der anderen.

Jan Faktor ist vorgeworfen worden, mit dem Buch als Mitglied des literarischen Underground in Ost-Berlin seine Überzeugungen und die alternative Literaturszene verraten zu haben. Deren Verdikt hieß: keine Romane. Gut, dass Faktor sich anders entschieden hat. Der Mann kennt Leiden und Leben. Geboren in Prag und ohne Ausbildung siedelte er 1978 zu seiner Frau nach Ost-Berlin, jobbte als Kindergärtner, Schlosser, Übersetzer. Das Buch erhielt als Manuskript 2005 den Alfred-Döblin-Preis.

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