FAZ-Mitherausgeber ist tot Frank Schirrmacher - Denker und Zeitungsmacher mit Leidenschaft

Berlin · Wie wohl wenige Journalisten in Deutschland kam Frank Schirrmacher dem Zeitgeist auf die Spur. Ob bei der Alterung der Gesellschaft, der Debatte um die Gentechnik oder der Eroberung des Privatlebens durch das Internet - der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ("FAZ") war einer der führenden Intellektuellen der Bundesrepublik.

Frank Schirrmacher ist tot
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Er selbst nannte sich einen "Anarchisten" und "wilden Denker". Der Publizist und Bestsellerautor schreckte nicht davor zurück, sich immer wieder mit unbequemen Positionen zu Wort zu melden. Als Nachfolger von Joachim Fest rückte Schirrmacher 1994 in die Gruppe der damals fünf "FAZ"-Herausgeber auf und wurde für das Feuilleton zuständig. Für die Kulturseiten hatte er davor neun Jahre lang als Literaturredakteur geschrieben. In seiner neuen Rolle wollte der 1959 in Wiesbaden geborene Beamtensohn, der über Franz Kafka promoviert hatte, jenseits des täglichen Zeitungsbetriebs im öffentlichen Diskurs mitmischen.

Dabei scheute sich Schirrmacher nicht, die oft als konservativ bezeichnete Kernleserschaft des Traditionsblattes immer wieder zu verblüffen. Mancher Kritiker nannte ihn einen "intellektuellen Marktschreier" und "Kampagnen-Journalisten". Doch Schirrmacher hielt unbeirrt daran fest, den größtmöglichen Effekt zu suchen - und damit in Artikeln und Talkshows Debatten anzukurbeln.

Bücher wie "Das Methusalem-Komplott" über den Jugendwahn, zur Erosion sozialer Bindungen ("Minimum") oder das kapitalismuskritische "Ego: Das Spiel des Lebens" - Schirrmachers Texte wurden Bestseller und trafen einen Nerv. Mitten in der jüngsten Finanzkrise sah er linke Gesellschaftskritik wieder an der Tagesordnung. Die Feuilletonseiten wurden immer wieder Bühne für seine Texte oder auch für Autoren, die er dafür gewann - nicht immer zum Behagen seiner Mitarbeiter.

Niederlagen als Herausgeber

Schirrmacher hatte manche Niederlage als Herausgeber einzustecken, etwa mit seinem Plan, einen Großteil der Feuilleton-Redaktion von Frankfurt nach Berlin zu verlegen. Auch musste er die vielgelobten "Berliner Seiten" des Blattes, eine Mischung aus Kulturthemen und anspruchsvollem Lokaljournalismus, einstellen. Zu einem großen publizistischen Erfolg wurde die von Schirrmacher mitinitiierte "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", die 2001 den Markt der Wochenendblätter belebte.

Immer wieder erhob Schirrmacher auch seine Stimme, wenn es darum ging, an die Last und die Verpflichtungen zu erinnern, die sich aus der deutschen Geschichte und dem Holocaust ergeben. In einem offenen Brief begründete er 2002 in seiner Zeitung, warum er den Vorabdruck von Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" abgelehnt hatte. Er sah in der fiktiven Erzählung "antisemitische Klischees" und eine "Exekution" des "FAZ"-Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki. Mit dem Holocaust-Überlebenden pflegte Schirrmacher eine enge Freundschaft. Walser erklärte dagegen, er habe mit dem Buch über die Machtausübung im Literaturbetrieb schreiben wollen.

Einen weiteren Coup landete Schirrmacher, als der Literaturnobelpreisträger Günter Grass im "FAZ"-Interview zugab, in den letzten Kriegsjahren in die Waffen-SS eingezogen worden zu sein. Das Gespräch machte weltweit Schlagzeilen.

Ob Naturwissenschaften, Internet oder Ökonomie - Schirrmacher, so hatten viele den Eindruck, stürzte sich auf Themen mit enormer Leidenschaft. "Was mich immer schon geängstigt hat, ist das Problem der Vanitas, der Vergänglichkeit", sagte Schirrmacher in einem Interview mit der Fotografin Herlinde Koelbl. "Es ist der Tod, der alles in Bewegung setzt. Und dann fügte er eine pessimistische Pointe hinzu: "Ein Niedagewesen-Sein, darauf läuft es hinaus."

Im bundesdeutschen Geistesleben wird Frank Schirrmachers Werk aber wohl noch sehr lange nachhallen. Der Publizist, der in zweiter Ehe mit der Journalistin Rebecca Casati verheiratet war, starb am Donnerstag an den Folgen eines Herzinfarkts.

(dpa)
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