Buch-Kritik Donna Leon: Blutige Steine

Mitten auf dem Campo Santo Stefano in Venedig wird ein Schwarzafrikaner erschossen. War es ein Streit unter Immigranten oder steckt mehr hinter dem Mord an einem 'Vucumprà', einem Illegalen? Donna Leon schickt Commissario Brunetti zum 14. Mal ins Rennen. Er ermittelt auf seine Art, entgegen den Wünschen seiner Vorgesetzten und mit seiner ihm eigenen Hartnäckigkeit.

 "Blutige Steine" von Donna Leon.

"Blutige Steine" von Donna Leon.

Foto: Diogenes

Es ist ein kalter Winterabend. Auf dem Campo Santo Stefano im Zentrum Venedigs ist Weihnachtsmarkt: Straßenmusikanten verbreiten Stimmung, Spezialitätenhändler aus allen Regionen Italiens bieten ihre Waren feil. Fliegende Händler aus Schwarzafrika haben auf Decken und Tüchern am Boden ihre falschen Gucci- und Prada-Taschen ausgebreitet, um sie an Touristen zu verhökern.

Da wird das friedliche, geschäftige vorweihnachtliche Treiben abrupt unterbrochen: Fünf Schüsse aus Pistolen mit Schalldämpfern zischen fast unbemerkt durch die Nacht, ein Schwarzafrikaner liegt tödlich getroffen am Boden. Die anderen fliehen in Panik. Ein Italiener alarmiert die Polizei. Commissario Guido Brunetti wird informiert. Sein erster Eindruck: Da waren Profikiller am Werk. Ein Ärzte-Ehepaar aus einer amerikanischen Reisegruppe stand nahe beim Tatort. Die Frau sagt, sie habe einen weißen, kräftigen Mann beobachtet, der wahrscheinlich geschossen habe.

Aber die Amerikaner wissen nur wenig. Um an weitere mögliche Informationen heran zu kommen, lässt Brunetti die Händler aus Afrika wissen, dass alle Beobachtungen von der Polizei entgegen genommen würden, ohne dass die Männer ihre Personalien angeben müssten. Brunetti selber bedient sich seines eigenen Informantennetzes, das in alle Ecken der Stadt reicht, auch in die dunkelsten. Vieles deutet darauf hin, dass die 'Vucumprà' unter einem besonderen Schutz stehen: Nur so lässt sich erklären, dass diese illegalen Einwanderer zwar immer wieder festgenommen, aber nicht wirklich behelligt werden.

Ermittlungen sorgen für Wirbel

Mit seinen Ermittlungen scheucht Brunetti jedenfalls mächtige und dubiose Kreise auf. Dies tut er wie immer mit Hilfe der schönen, gescheiten Signorina Elettra und gegen den ausdrücklichen Willen seines Vorgesetzten, Vice-Questore Patta. Und wie immer löst Brunetti zwar den Fall, aber es gibt keine Verhafteten - letztlich halt keine Gerechtigkeit, so wie es oft auch im richtigen Leben geschieht.

Genau das zeichnet auch den neuesten Roman von Donna Leon aus. Die Autorin versucht in ihren Krimis nie eine heile Welt vorzugaukeln, in der es Gute und Böse gibt und am Schluss die Gerechtigkeit siegt. Und das macht die Brunetti-Bücher so lesenswert, zumal Leon auch dieses Mal wieder einen höchst aktuellen Plot kreiert hat und beispielsweise sehr feinsinnig das Problem des offenen oder unbewussten Rassismus anspricht.

Und - wer jemals in der Vorweihnachtszeit über den Campo Santo Stefano geschlendert ist, dick eingepackt, weil es auch in Venedig empfindlich kalt sein kann, wird diesen Roman schon nur der Stimmigkeit wegen lieben. Auch diese Stimmigkeit macht die Bücher von Donna Leon zu unverwechselbaren und einzigartigen Lesevergnügen.

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