Autor von "Selbst Denken" im Interview "Die Zukunft bringt Wohlstandsverluste"

Düsseldorf · In Harald Welzers Buch "Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand" geht es um nichts weniger als um die Zukunft der Menschheit. Der Autor zeigt die Folgen des erdrückenden Konsumwahns: Ressourcen-Raubbau, Erderwärmung, Armut. Und er sagt: Jeder kann durch das eigene Verhalten etwas verändern. RP-Redakteurin Dorothee Krings hat mit ihm gesprochen.

Sie haben eine "Anleitung zum Widerstand" geschrieben — wogegen soll sich der denn richten?
Harald Welzer Gegen die fortschreitende Zerstörung künftiger Überlebensgrundlagen.

Man könnte auch sagen, gegen unser Konsumverhalten?
Welzer Ja, klar. Konsumismus ist die Ursache für die jährliche Steigerung von Energie- und Materialverbrauch und für die enorm wachsenden Müllmengen.

Den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, verändert aber ihr Verhalten nicht. Appelle haben bisher wenig genützt.
Welzer Richtig. Von Appellen halte ich gar nichts. Die hören wir seit 40 Jahren aus der Umweltbewegung, aber sie haben nichts gebracht. Es ist zwar alles ergrünt in unseren Werbekampagnen und Leitbildern, aber der Ressourcen-Raubbau geht munter weiter. Darum besteht mein Buch auch zur Hälfte aus konkreten Empfehlungen, wie man sein Leben verändern kann. Es gibt Ursachen für die Probleme auf diesem Planeten: Die Ursache sitzt am Ende der Wertschöpfungskette, das sind Sie und ich. Wenn wir keinen Plunder kaufen würden, dann würde der Plunder auch nicht produziert.

Sie glauben also an die Macht des Verbrauchers, obwohl der doch Teil viel größerer Mechanismen ist?
Welzer Was hat es auf sich mit diesen größeren Mechanismen? Klimakonferenzen etwa versuchen seit 20 Jahren die Erderwärmung aufzuhalten, ohne Erfolg. Das liegt daran, dass diese Konferenzen in Wahrheit an unserer Wirtschaftsweise gar nichts ändern wollen. Die Teilnehmerländer wollen besorgten Menschen sagen können, dass sie sich um das Klima bemühen, aber ihre Geschäftsmodelle wollen sie nicht verändern.

Der einzelne Verbraucher will seinen Lebensstil in Wahrheit doch auch nicht verändern.
Welzer Das weiß ich nicht. Wer ist denn der einzelne Verbraucher? Sie können doch sagen: Ich will meinen Lebensstil verändern. Und ich kann das auch sagen.

Aber vielleicht denke ich dann, dass mein individueller Verzicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein — also vergebens ist.
Welzer Aber noch mehr zu konsumieren, würde den Stein doch nur noch weiter erhitzen. Ich verstehe das Argument nicht: Wieso müssen diejenigen, die etwas tun, sich dafür rechtfertigen, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein könnte. Man muss das doch umgekehrt betrachten: Wie rechtfertigt man denn, bei allem Wissen, das wir heute haben, so weiterzumachen als wäre nichts? Wie bringt man es denn fertig, künftigen Generationen zu sagen: War ganz schön in meinem Leben, für Euch bleibt leider nichts mehr? Da sind mir doch die lieber, die etwas versuchen. Die anderen benutzen ihre angebliche Ohnmacht doch als Schutzbehauptung und denunzieren die Engagierten als Wutbürger und Gutmenschen, nur weil deren Wahrheiten für sie unangenehm sind.

Aber auch die Gutmenschen werden die globale Ausbeutung nicht aufhalten. Das muss man doch grundsätzlicher betrachten.
Welzer Wofür wird denn nach Öl gebohrt, fahren Frachtschiffe über die Meere, fliegen Flieger um den Globus? Die transportieren doch Produkte oder Ausgangsstoffe für Produkte! Die wir konsumieren! Also kann man die Verbraucher doch nicht aus der Verantwortung nehmen. Wenn wir keine Autos kaufen, stellt sich die Automobilindustrie darauf um, Mobilitätsdienstleister zu sein. Wir sind doch aktiver Teil der "globalen Ausbeutung". Die Wachstumswirtschaft konsumiert inzwischen ihre eigenen Voraussetzungen. Politiker behaupten aber unisono, unser Lebens- und Wirtschaftsmodell sei fortsetzbar. Ist es nicht! Die Komfortzone, die die reiche Bundesrepublik ihren Bürgern offeriert, können wir mittelfristig vergessen. Die Zukunft wird Wohlstandsverluste bringen.

Das ist eine unangenehme Wahrheit, vielleicht wird sie deswegen nicht ausgesprochen.
Welzer Ist das so unangenehm in einer Überflussgesellschaft? Dann besitzen wir eben nicht drei Autos pro Haushalt, sondern eins. Es gibt ja kein Menschenrecht auf drei Autos. Unsere Gesellschaften werden sich ohnehin unter dem wachsenden Ressourcendruck verändern. Die Frage ist: Werden wir die Veränderung gestalten oder werden wir sie nur geschehen lassen? Dann schrumpfen unsere Handlungsspielräume.

Gerade an der Eurokrise kann man aber sehen, dass selbst Regierungschefs verzweifelt versuchen, etwas zu tun, aber...
Welzer Die versuchen nicht, verzweifelt etwas zu tun. Sie versuchen, ihre Gesellschaften wirtschaftsfreundlicher zu machen. Man muss mal aufhören zu glauben, dass Politiker die Ziele verfolgen, die sie nach außen kommunizieren.

Sondern? Welches Ziel verfolgt Angela Merkel denn?
Welzer Ich weiß nicht, welches Ziel Angela Merkel verfolgt. Aber ich weiß, dass in Ländern, die unter Sparzwang gestellt werden, Sozialleistungen, Arbeitnehmerrechte, Gewerkschaftsrechte abgebaut, Renten gekürzt und vor allem: Jugend in die Arbeitslosigkeit getrieben werden, in einem beispiellosen Maße.

Aber das ist doch das beste Beispiel dafür, dass der Einzelne, auch der einzelne Politiker, von den Verhältnissen regiert wird.
Welzer Nein, von welchem Verhältnissen denn? Da muss man doch Ross und Reiter benennen, die Kapitalmärkte zum Beispiel. Denen hätte die Politik längst Einhalt gebieten können. Und wenn niemand sein Geld in spekulative Fonds investiert, können die nicht weiter agieren. Wir müssen mit der Behauptung aufhören, wir hätten mit all dem nichts zu tun. Dann steht der Einzelne nämlich ganz anders da. Dann ist er wieder politisches Subjekt, kann sich wieder ernst nehmen und gegen Zukunftsvergessenheit und Generationenungerechtigkeit vorgehen.

Sie setzen also immer beim Einzelnen an und stellen nicht die Systemfrage?
Welzer Ich kann auch die Systemfrage stellen. Das heißt aber nicht, dass ich schon die Alternative parat hätte. Das kapitalistische System ist ein historisch unglaublich erfolgreiches System, alle Parameter und Infrastrukturen der Gesellschaft sind auf dieses System eingestellt. Wer soll jetzt auf die Schnelle eine Alternative schnitzen? Man kann den Kapitalismus nicht einfach abschaffen, das ist ein Lernprozess, ein Umorientierungsprozess, ein Experimentierprozess auf vielen Ebenen. Jeder kann seinen Handlungsspielraum nutzen.

Aber es gehört auch zum System, dass der Verbraucher ein T-Shirt für zwei Euro kaufen kann, ohne sich Gedanken über Bangladesh machen zu müssen?
Welzer Ich finde durchaus, dass man in Erklärungsnöte gerät, wenn man sich ein Billig-Shirt kauft, das womöglich aus der Fabrik in Bangladesh stammt, in der gerade mehr als 1000 junge Frauen gestorben sind.

"Selbst denken" haben Sie Ihr Buch überschrieben. Wie kann eine Gesellschaft dafür sorgen, dass sie genügend kritische Geister hervorbringt, die eigenständig über die Zukunft nachdenken?
Welzer Jeder Mensch sollte sich selbst ernst nehmen und sich nicht zum Objekt einer Bedürfniserzeugungswirtschaft machen lassen. Die Leute kaufen Produkte, von denen sie vorher nicht mal wussten, dass sie sie überhaupt haben wollten. Sie kaufen Autos, die sie nicht ins Parkhaus kriegen. Irgendwann müssen sie doch erkennen, wie bescheuert das ist.

Also brauchen wir eine neue Aufklärung?
Welzer Ja, aber der erste Schritt ist, nicht zu warten, dass diese Aufklärung von außen kommt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der keiner für irgendetwas verantwortlich ist. Das ist Selbstentmündigung. Es geht also um Selbstaufklärung, darum, sich selbst ernst zu nehmen als handelnde Person. Dazu will mein Buch ermutigen.

Die Fragen stellte Dorothee Krings

(csi)
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