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Deutscher Philosoph Die Tagebücher des Peter Sloterdijk

Karlsruhe · "Zeilen und Tage" ist der bescheiden klingende Titel der Tagebücher des Philosophen Sloterdijk. Veröffentlicht wurden Hefte der Jahre 2008 bis 2011. Unterhaltsam sind sie, oft sehr eitel und manchmal philosophisch. Für die Veröffentlichung hat der Denker seine Schriften noch einmal überarbeitet.

 Denker und Tagebuchschreiber: Peter Sloterdijk.

Denker und Tagebuchschreiber: Peter Sloterdijk.

Foto: AP

Damit war zu rechnen: dass der wortakrobatische Dauerpublizist, Medienphilosoph und Entertainer des Denkens in seinen Minimalfreizeiten auch noch Tagebücher schreibt. Aber was heißt bei Peter Sloterdijk (65) schon Tagebuch! "Denktagebücher" nennt es der Suhrkamp-Verlag, im Untertitel ist deprimierend bescheiden von "Notizen" die Rede — im Grunde aber sollen es Kompendien über die Welt und das Leben sein.

Da ihre Umfänge mittlerweile aber jede zumutbare Größe selbst für engagierteste Leser überstiegen haben — seit 40 Jahren soll der Denker täglich "in seine Hefte gekritzelt" haben —, erinnerte sich Sloterdijk einer editorisch ziemlich lustigen Geschichte: Eines Tages, und ganz ohne Absicht, griff er ins Konvolut der Tagebücher, erwischte das Heft 104, und da dies eine hässlich unrunde Zahl ist, nahm er auch noch die übrigen Hefte bis Nummer 100 heraus. Mit diesem Griff geriet die Zeit zwischen 2008 und 2011 in den Blick Und was es darin nachzulesen gab? Merkwürdiges, Amüsantes, Belangloses, gar Peinliches, kündigte Sloterdijk an.

Aber auch dies bleibt bedenkenswert: Für die Veröffentlichung hat der Tagebuchschreiber in die Texte von einst eingegriffen, hat hier und da also etwas weggelassen, hat manche Stellen erweitert oder pointiert. Und der Diarist ist nach eigener Auskunft dabei keineswegs zimperlich zu Werke gegangen: Das Verhältnis von Gestrichenem zu Übernommenem sei etwa drei zu eins. Wer es auf die jetzt erschienen 640 Seiten hochrechnet, kommt auf rund 2000 Seiten, die uns vorenthalten werden.

Ein solches Verfahren aber ist für Tagebücher — die vor allem von der Authentizität des schriftlichen Selbstgesprächs leben — schlichtweg eine Todsünde. "Zeilen und Tage", so der Titel, ist somit ein zensiertes Tagebuch, und wer es liest, sollte das stets in Erinnerung behalten.

Dass Sloterdijk immer schon ein umtriebiger Handlungsreisender in Sachen Philosophie war und sich in dieser Rolle auch gefiel, wusste man zwar. Jetzt aber kann man es auch noch im Detail nachlesen und bestaunen: Allein von Mai bis Dezember 2008 bereiste der fliegende Denker rund 30 verschiedene Vortrags- und Seminarorte — darunter mal eben Abu Dhabi und Korsika, Monte Carlo, Wien und Madrid, aber auch so hehre und Respekt einflößende Kulturorte wie Stratford upon Avon oder Sils Maria. Und meistens mit ganz viel Publikum.

Das ist alles schrecklich viel, furchtbar anstrengend, und der Rastlose selbst ahnt es: "Überall Tagungen, Konferenzen, Seminare", heißt es lakonisch im Mai 2008.

Aber manchmal macht es auch Spaß, besonders bei Preisverleihungen. Am 16. Juli 2008 wird dem Tagebuch etwas anvertraut über die Verleihung des Cicero-Rednerpreises an Sloterdijk in Bonn; die Schwergewichte Bazon Brock und Gerd Ueding sind herbeigeeilt und halten rühmende Reden, und das alte Parlamentsgebäude ist — wie es heißt— "bis auf den letzten Platz gefüllt", wobei Sloterdijk uns wahrscheinlich sagen wollte, dass auch dieser letzte Platz einen Gast gefunden hat.

Aber auch als Laudator tritt er in Erscheinung, so bei der Unseld-Preisverleihung an den französischen Soziologen Bruno Latour. Aber siehe da, es zeigt sich, dass im Fest-Auditorium, "viele fehlen", die man erwarten durfte. Und für die, die noch nicht ganz verstanden haben, worauf Sloterdijk eigentlich hinauswill, werden sogar ein paar Zahlen geliefert: 650 kamen zur Verleihung des Cicero-Preises an ihn, und beim Mendelssohn-Preis einige Monate vorher im Leipziger Gewandhaus sogar 2000. Dagegen erscheint ihm dann bei Latour "die Frankfurter Szene dürftig".

Das ist in gewisser Weise rührend, zumal Sloterdijk keinen Versuch auslässt, die Absichtslosigkeit seines öffentlichen Wirkens zu betonen. Höhepunkt in diesem Bemühen ist sicherlich diese Aussage: "Von jeher lag es mir ziemlich fern, für meine Arbeit Interesse wecken zu wollen, ich stamme aus einer Zeit, in der die Autoren dummerweise dachten, die Leser müssten sich auf den Weg zu den Büchern machen, nicht die Verfasser auf den Weg zu den Lesern." An welche Zeit auch immer Sloterdijk da gedacht haben mag, es muss eine recht komische Zeit gewesen sein.

Spannend sind die Kommentare zu seiner Arbeit am Werk "Du musst dein Leben ändern" — ein Opus magnum, das neben dem Tagebuch und all den Vorträgen wie nebenbei heranzuwachsen scheint. Es gibt sogar immer wieder Schreibhemmungen und Befreiungen ("Der Autor ist zurückgekehrt") sowie Notizen, die zweifelsohne bereits als Zutaten seines späteren Buchs gelten dürfen — wie: "Das Prinzip des höheren Lebens ist übender Fleiß. Geboren sind wir schon, zur Welt aber kommt nur, wer sich vorwärtsarbeitet. Kreatives Leben gebiert sich selbst."

Philosophisches gibt es in eher sparsamen Dosierungen, doch wenn Sloterdijk seinem Denken freien Lauf lässt, ist er anregend scharf: "Theologen heute, Fachidioten für Erlösung." Und: "Der Tourist ist der Anti-Eroberer, er soll sich von der Landschaft gefangennehmen lassen." Zwar weiß er, dass das tägliche Leben nichts anderes ist "als eine zweitklassige Erzählung", doch verschont bleiben wir davon dennoch nicht. So werden wir auch unterrichtet über die hastige Aufnahme von "fish and chips" in Stratford und über die Bedrängnisse, die der Denker als Mann erfährt. Im Bahnhof von Amsterdam wird er einer jungen Frau ansichtig mit "evangelischem Gesicht" und "Amok-Decolleté".

Unterhaltsam sind die Tagebücher allemal, gut geschrieben ohnehin. Mal gibt es was zum Nachdenken, ein anderes Mal etwas zum Schmunzeln oder zum Staunen — über die Hochleistungsmaschine namens Sloterdijk. Und obwohl der Tagebuchschreiber für die Veröffentlichung korrigierend eingegriffen hat, gibt es noch genug Stellen der Selbstentlarvung. Denn wer vertraut schon seinem Tagebuch solche Sätze wie den folgenden an, die im privaten Tagebuch nur eins im Blick haben, uns, die späteren Leser: "27. März, Wien, nehme die Gewohnheit wieder auf, abends Maupassants Novellen zu lesen."

(RP/csi)
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