Buch-Kritik David Peace: 1974

Der Krimi "1974" von David Peace ist mehr als die blutrünstige Geschichte eines perversen Serienmörders und ringt dem Leser einiges an Durchhaltevermögen ab. In seinem ersten auf Deutsch geschriebenen Roman porträtiert er eine korrupte, wehrlose und abgestumpfte Gesellschaft. Gut und Böse sind als abgrenzbare Kategorien nicht mehr vorhanden.

 "1974" von David Peace.

"1974" von David Peace.

Foto: Liebeskind

Am Ende ist es, als erwache man aus einem schrecklichen Albtraum: In seinem ersten auf Deutsch erschienenen Roman In England gehört Peace, geboren 1967, längst zu den wichtigsten Stimmen der jungen Literaturszene. "1974", der erste Teil einer Chronik Englands in den siebziger und achtziger Jahren, wird auch in Deutschland als literarische Sensation bejubelt. Das Buch spielt im Jahr 1974 in der englischen Provinz, elf Tage vor Heiligabend. Der Fund einer entsetzlich verstümmelten Mädchenleiche erschüttert die Dörfer rund um Leeds.

Edward Dunford, ein junger und ehrgeiziger Gerichtsreporter, wittert seine Chance auf einen sensationellen Start ins Berufsleben und hängt sich an den Fall des zehnjährigen Mordopfers. Um sich zu profilieren, recherchiert er trotz eindringlicher Warnungen auf eigene Faust. Schnell findet er heraus, dass Polizei, Politik und höchste Gesellschaftskreise der Region in den Fall verwickelt sind. Mysteriöse Hinweise, Gespräche mit Zeugen und Polizisten führen Dunford auf eine Spur, die ihn in Lebensgefahr bringt und die Vorweihnachtszeit zu einem Höllentrip macht.

Es wird viel gesoffen, gekotzt und geflucht in Peaces Roman. In diesem brutalen Szenario ist das auch verständlich, denn die detaillierten Beschreibungen von Verprügelten, Gefolterten oder Zerstückelten bewegen sich oft am Rande des Erträglichen. In einer kompromisslosen, förmlich rasenden Sprache jagt Peace die Dialoge durch die furchtbare Geschichte und strapaziert die Nerven der Leser bis aufs Äußerste. In kurzen und bis ins Mark treffenden Sätzen zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit keine reale Chance hat.

In einem klapprigen Auto rast Dunford stets mit 145 Stundenkilometern durch die Hügel Yorkshires, mitten hinein in den Horror, dem er entfliehen möchte. Als einsamer Kämpfer wird er zum Sinnbild der Geschichte: Im Bestreben das Böse zu besiegen, gibt er Vollgas. Und scheitert an den wahren Verhältnissen.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort