Rezension Das Streben nach Unglück

Düsseldorf · "Was für ein Trauerspiel", denkt sich mancher Leser des neuen Romans von Yasmina Reza, der den tautologischen Titel "Glücklich die Glücklichen" trägt. Die Assoziation zum Theater rührt nicht nur vom dramatischen Inhalt des Romans her, auch formal gelingt Yasmina Reza, die vielen als Autorin des Theaterstücks "Der Gott des Gemetzels" bekannt ist, eine theater-ähnliche Konstruktion: dialog-lastig, wortgewandt und schlagfertig wird eine Geschichte aus achtzehn verschiedenen Blickwinkeln erzählt.

 Laura Biewald ist Studentin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Laura Biewald ist Studentin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Foto: Laura Biewald

Beim ersten Blick in das Buch denkt man zunächst an eine Ansammlung von Kurzgeschichten. Erst bei genauerer Betrachtung werden diese Fragmente als zusammenhängendes Ganzes enttarnt. So wenig wie die Protagonisten ihr eigenes Schlamassel begreifen, ist für den Leser die Figurenkonstellation zunächst höchst undurchschaubar. Dass alle Figuren miteinander verbunden sind und deren Geschichten sich überschneiden, wird erst Stück für Stück deutlich. Genauso muss sich der Leser erst einmal an die von Reza gewählte Form der wörtlichen Rede gewöhnen: Keinerlei Anführungszeichen, lediglich Gedankenstriche signalisieren einen Sprecherwechsel, was den Lesefluss erheblich stört.

"Glücklich die Glücklichen" — dieser Titel verspricht eine Handlung vom Glück und von Menschen, die es gefunden haben. Leider ist genau das Gegenteil der Fall: Ausnahmslos sind alle erzählenden und erwähnten Personen auf der verzweifelten Suche nach dem Glück, scheitern jedoch daran, es wirklich zu finden.

Dem Leser werden in den einzelnen Kapiteln alle denkbaren und undenkbaren Abgründe der menschlichen Seele dargelegt: zerrüttete Ehen, in denen die Kommunikation an allen Ecken und Enden fehlschlägt; Eltern, die an ihren Kindern verzweifeln und manchmal nur in der Gewalt einen Ausweg finden; ein Arzt, den seine Patienten verehren, der aber in seiner Freizeit Geld dafür bezahlt, sich von jungen Männern benutzen zu lassen; ein einflussreicher Bankier, dessen Tage gezählt sind und dessen Frau es nicht akzeptieren kann, dass ihr langjähriger Ehemann nach seinem Tod eingeäschert werden möchte.

Alles ungesunde Abhängigkeitsbeziehungen, doch das Unglück liegt im Detail. Es steht zwischen den Zeilen und kommt am deutlichsten in den Sätzen zum Ausdruck, die nicht gesagt werden. Es ist das Gefühl, das die Erzählungen beim Leser hinterlassen. Die Figuren selbst sind sich ihrer Ausweglosigkeit nicht bewusst, fühlen jedoch die Beklemmung, die dieser Umstand mit sich bringt, und spüren deutlich den Drang, der Enge zu entfliehen. Sie wollen ausbrechen aus ihren Mustern, die sie in die Tiefe ziehen — nur bemerken sie dabei nicht, wie viel tiefer sie durch das vermeintliche Glück im Außen fallen. Denn dieses besteht meist aus geheimen Affären, sexuellen Erfüllungen, von denen niemand etwas wissen darf, und Lügen, um den äußeren Schein zu bewahren.

Glück — das ist etwas, nachdem wir alle streben und unglücklicherweise können wir uns als Leser sicher viel zu oft mit den verzwickten und ausweglosen Situationen der Charaktere identifizieren. Doch nach einer gewissen Zeit des Lesens erweckt die Geschichte beim Leser den Eindruck, dass sich die Figuren scheinbar absichtlich in noch unglücklichere Umstände begeben, um etwas zu fühlen; Schmerz ist besser als gar nichts. Unglück scheint hier sogar als Luxus-Artikel gehandelt zu werden, die Einzelschicksale werden als Wettbewerb um den Preis für das größte Unglück gelesen. Die Autorin Yasmina Reza ist es letzten Endes, die als Gewinnerin dieses Wettbewerbs hervorgeht: Höchste Punktzahl in der Erschaffung und Perfektionierung des multiplen Unglücks.

Mit "Glücklich die Glücklichen" verkehrt Yasmina Reza das Glück ins Gegenteil — und macht keinen Hehl daraus. Diese hoffnungsvernichtende und negative Anekdote aus dem wahren Leben ist zu trostlos, als dass sie dem wahrhaft Glücksuchenden Mut machen könnte. Geeignet ist der Roman einzig und allein für all diejenigen, die gerne in Melancholie baden — denn es ist so schön leicht, schwer zu sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort