Zuhälter und Zocker in Köln Chicago am Rhein

Köln · Bis in die 70er Jahre hielten Zuhälter und Zocker die Domstadt mit fast 50.000 Straftaten im Würgegriff der Kriminalität. Als kleinkriminelle "Könige vom Ring" verharmlost, gehören sie heute zur Folklore Kölns.

Chicago am Rhein: die Könige vom Ring
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Sie sahen aus wie Vorstadt-Karikaturen der Bläck Fööss und hießen wie gutmütige Ganoven aus einem Millowitsch-Stück: "Schäfers Nas", "Dummse Tünn", "Abels Män", "Essers Häns" und "Frischse Pitter" erscheinen manchem Kölner heute wie anständige Spitzbuben aus einer guten Zeit, als es im "Milieu" der Zuhälter und Zocker noch ohne Waffen und Drogen zuging.

Als sich die "Nas" und der "Tünn" mit ihren Gangs im September 1975 um zwei Uhr nachts auf der Straße trafen, um ein für alle Mal zu klären, wer der "König vom Ring" sei, fiel kein Schuss. "Dä hät mer eine vor de Kopp jehauen, un da wor ich weg", erinnerte sich der Tünn später. Bundesweite Berühmtheit erlangte Schäfers Nas — eigentlich schon im Ganoven-Ruhestand — 1996, als Diebe ein wertvolles Kreuz aus der Domschatzkammer stahlen.

Geschichten aus dem kölschen Milieu

"Die Kirche bekläut man nit", erklärte die Nas und hörte sich im Milieu mal um. Wenige Tage später übergab er dem damaligen Domprobst Norbert Henrichs das Kreuz und wies die Belohnung von 3000 Mark strikt zurück; der Domprobst erzählte die Geschichte in der Messe und sprach eine Fürbitte für den Gangster.

Dutzende solcher kölscher Verzällcher hat Peter F. Müller schon vor Jahren für einen Dokumentarfilm zusammengetragen — und nun mit Co-Autor Michael Mueller noch einmal in Buchform gegossen. Titel nach Boulevard-Schlagzeile der 60er Jahre: "Chicago am Rhein: Geschichten aus dem kölschen Milieu." Für den ehemaligen Kripo-Beamten Josef Menth, heute im Karneval als "Der Kölsche Schutzmann" unterwegs, zählt die Entschuldigung nicht, dass die starken Jungens in den Trümmern des Nachkriegs-Köln halt ein eher robustes Rechtsbewusstsein entwickelt hätten. Die "Nas" sei nicht etwa "ne Joode" gewesen, wie viele Kölner sich heute einreden wollten, sondern "ein ganz brutaler, menschenverachtender Zuhälter in Großausführung".

Fast 50.000 Straftaten jährlich

Viele der Kölner Ring-Gangster starten ihre kriminellen Karrieren damals im Kielwasser des Kölner Gastronomen Hans Herbert Blatzheim, dem Stiefvater von Romy Schneider. Ihm gehören Revue-Theater, Varietés, Restaurants und Clubs. Heinrich Schäfer und Anton Dumm, bis dahin beide Bau- und Hafenarbeiter, werden Türsteher und lassen nebenher "Mädchen aus dem Leben" für sich anschaffen.

Jüngere, ebenfalls starke Männer sind von ihnen fasziniert, darunter auch ein Friseur: Erst schneidet Bert Wollersheim der "Nas" die Haare, dann beschließt er, selbst Bordell-König von Düsseldorf zu werden. In den Jahren 1961 bis 1964 steigt die Zahl der Straftaten in Köln um 6000 auf jährlich 48.600; die Aufklärungsquote liegt bei 34 Prozent.

Mit den 70ern endet eine Ära

Der damalige NRW-Innenminister und spätere Präsident des Deutschen Sportbundes, Willi Weyer (FDP), schickt einen Düsseldorfer nebst Verstärkung in die Domstadt: Werner Haas, Kriminalrat, ausgestattet mit Sondervollmachten, macht es den Königen vom Ring zumindest etwas ungemütlicher; viele von ihnen lernen den "Klingelpütz", das alte Gefängnis am Hansaring, von innen kennen. Besonders sicher ist es nicht: 1968 seilen sich sieben Ganoven mit Bettlaken auf die Straße ab und fliehen in voller Gefängnismontur mit der Straßenbahn.

Die Ära der "Könige vom Ring" geht mit den 70er Jahren zu Ende. Peter Frisch, der "Frischse Pitter", ist ihr letzter schillernder Vertreter. Mit 16 Jahren beginnt er als Zuhälter, mit 17 sitzt er im Klingelpütz (Auto gestohlen), 1965 fährt er ein Mustang-Cabrio und startet durch. Als einer der wenigen früheren Milieu-Größen bezieht er heute eine Rente. "Wenn ich e bissje jet jespart hätt, hätt ich hück irjendwo en Finca un wöödt de Föös in de Tass halde", hat er Müller erzählt, "ävver ich han dat Jeld zum Teil behandelt, als wenn et Dreck jewäse wör."

Eine besondere Vorliebe entwickelte "Frischse Pitter" für maßgeschneiderte Lederanzüge, gern in der Wagenfarbe seiner wechselnden Cabrios. Heute zieht er gelegentlich Wohnwagen mit einem VW Golf zum Straßenstrich und verdient sich ein Zubrot. Die Locken sind ab, die Fransen am Lederanzug ebenfalls. Sein "Berufsleben" bilanziert er wie ein normaler Rentner: "Ander Lück jeiht et schlechter wie mir, ich han noch jet Jlöck jehat."

(RP/pst/das/csr)
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