Buchtipps Mit diesen Romanen kommen Sie lesend durch Herbst und Winter
Tipp 1 Er wird zwar nicht zur Frankfurter Buchmesse kommen, doch alle reden von ihm und seinem neuen Buch, und das zurecht: Jonathan Franzen, viel gerühmter US-Autor, hat einen neuen Roman geschrieben, ach was, ein Epos! Über 800 Seiten ist es dick, und das soll erst der Beginn sein. Denn mit „Crossroads“ wird eine Trilogie ihren wundersamen Anfang nehmen. Es ist ein unglaublicher Roman geworden, der am 23. Dezember des Jahres 1971 im Mittleren Westen spielt. An einem einzigen Tag wird eine Familiengeschichte entfaltet, in der sich all das widerspiegelt, was uns und die Welt bewegt: die großen und die kleinen Glaubenskrisen, unsere Zweifel, unser Glück. Kurzum: Franzen präsentiert im Kleinen ein großes, episches Panorama. Und für alle, die nach der Lektüre ungeduldig werden, sei gesagt: die ersten 78 Seiten des zweiten Teils sollen schon geschrieben sein.
Jonathan Franzen: „Crossroads“. Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 826 Seiten, 28 Euro.
Tipp 2 Julia Franck, die Deutsche Buchpreisträgerin von 2007, gehört zu den etwas stilleren deutschen Autorinnen. Das hat auch zu tun mit der Art ihres Erzählens, dass nie laut, nie grell ist, sondern immer poetisch und berührend. Und dass sie ihr neues Buch eine Erzählung nennt und keinen Roman – trotz der immerhin fast 370 Seiten –, hat auch damit zu tun. Franck will von ihrem Leben nicht in der Großform erzählen, sie gibt uns auf zurückhaltende Weise Einblicke in ihren holprigen, schwierigen, unsicheren Lebensweg. „Welten auseinander“ heißt das ergreifende Buch, das mehr ist als eine Autobiografie.
Julia Franck: „Welten auseinander“. Fischer, 368 Seiten, 23 Euro.
Tipp 3 Kanada ist das Gastland dieser Buchmesse, und es ist ein Glücksfall, dass uns dadurch die Liebesgeschichten von Kenneth Bohnert in die Hände gefallen sind. „Toronto“ heißt der ein wenig spröde Titel seiner Erzählungen, doch der Untertitel lädt zum Lesen ein: „Was uns durch die Nacht trägt“. Weil es die vollends glückliche Liebe ja nur in Groschenromanen gibt, erzählt Bonert von Menschen, die auf der Suche nach einem Partner und voller Lebenszweifel sind. Vier Geschichten, die kunstvoll miteinander verbunden wurden und Lebenswege nachzeichnen, wie sie auch für unsere Zeit so typisch sind. Ein zupackendes, geradlinig erzähltes Buch, das uns nicht nur durch die Nacht trägt.
Kenneth Bonert: „Toronto. Was uns durch die Nacht trägt“. Aus dem Kanadischen von Stefanie Schäfer. Diogenes, 250 Seiten, 22 Euro.
Tipp 4 Dieser Roman ist so ungewöhnlich wie sein Titel: „Phon“ erzählt von der Wildnis der westrussischen Wälder und somit von einem Leben mit Tieren, die wir bestenfalls aus dem Zoo kennen; und es erzählt von einer Existenz in großer und schwer zu bewältigender Einsamkeit. Dieses Leben ist ein Experiment, wieder mit einer Welt in Einklang zu kommen, der wir schon lange entfremdet sind. Und das Zoologenpaar Nadja und Lew lässt sich darauf ein. Viel Idealismus ist mit im Spiel, aber auch viel Enttäuschung. Die Niederländerin Marente de Moor – sie ist die Tochter des Künstlers Heppe de Moor und der Autorin Margriet de Moor – hat als Journalistin mehrere Jahre in Russland gelebt und gearbeitet. Und sie bringt uns diese unbekannte Welt und das unbekannte Leben dort in Farben nahe, vor allem in Tönen, in Geräuschen. Ein unfassbar sinnlicher Roman für die Geschichten aus einer harten, unwirtlichen Welt.
Marente de Moor: „Phon“. Aus dem Niederländischen von Bettina Bach. Hanser, 338 Seiten, 24 Euro.
Tipp 5 „Ich sollte nicht leben. Der Meinung sind viele, und ich kann sie verstehen.“ Mit solchen Sätzen beginnen Bücher, die oftmals ungut enden. Und in diesem speziellen Fall ist es das Programm von Autor und Werk. Also hat Hakan Nesser wieder zugeschlagen – und beschert uns lange, schlaflose Lesenächte. „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“ heißt diesmal sein Roman, der natürlich nicht so melancholisch ist, wie er klingt. Dabei sieht alles erst nach einer Auszeit für Inspektor Barbarotti und seine Kollegin Eva Backman aus, die seine Lebensgefährtin und leider in den Verdacht geraten ist, bei einem Polizeieinsatz die Schusswaffe nicht korrekt eingesetzt zu haben. Bis zum Ergebnis der Untersuchung ziehen sich die beiden also in die herbstliche Abgeschiedenheit Gotlands zurück. Dass dort an Ruhe nicht zu denken ist, weiß der Leser besser als die beiden Helden des Buches. Barbarotti sieht nämlich einen Mann, den er zu kennen glaubt: Es könnte sich um jenen Busfahrer handeln, der vor sechs Jahren Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist. Gefunden hat man die Leiche allerdings nie. Ein Buch für alle Nesser-Fans wie auch für solche, die es endlich einmal werden wollen.
Hakan Nesser: „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. BTB, 413 Seiten, 22 Euro.
Tipp 6 Der Roman ist ein wirklich harter Brocken. Aber nicht, weil er so schwer zu lesen ist, sondern weil seine Story so bitter ist. Es ist die Geschichte von Mutter und Sohn; von Agnes, die den Slums in Glasgow entkommen will und die doch immer wieder trotz großer Anstrengung dem Alkohol und den Exzessen verfällt. Und an ihrer Seite ist ihr kleiner Sohn Hugh, ein ungewöhnlicher Junge, der alles tut, um seine Mutter liebevoll vor dem endgültigen Absturz und die kleine Zweierfamilie vor dem Abgrund zu retten. Diese Sorge und Fürsorge des Jungen fällt auf, und alle nennen Hugh nur Shuggie – Shuggie Bain. Doch die Umstände meinen es nicht allzu gut mit den beiden; es sind die berühmt-berüchtigten Thatcher-Jahre; und in vielen Städten grassiert die Massenarbeitslosigkeit und tobt der Kampf ums Überleben. „Shuggie Bain“ ist der Debütroman von Douglas Stuart, der selbst in Glasgow aufgewachsen ist und in New York als Modedesigner arbeitete. Dieses Buch hat bei seinem Erscheinen einen solchen Eindruck hinterlassen, dass es im vergangenen Jahr mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Und es ist ein Leseerlebnis in diesem Herbst.
Douglas Stuart: „Shuggie Bain“. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser, 493 Seiten, 26 Euro.
Tipp 7 Und zum Schluss mal etwas ganz und gar anderes. Das ist ein Buch von mehr oder weniger drei Autoren: der eine, Denis Scheck, ist der TV-bekannte Literaturkritiker, der ungeliebte Bücher vor laufenden Kameras auch schon mal in den Papierkorb pfeffert. Die andere ist Christina Schenk, Buchhändlerin und Journalistin, die drei Jahre in Folge bei den Bundessiegerprüfungen im Turnierhundesport angetreten ist. Und darauf kommt es jetzt an: mit Jack-Russell-Terrier Stubbs. Er ist im Grunde der Dritte im Bunde des Autoren-Trios dieses eigenartigen und witzigen Buches: „Der undogmatische Hund“. Das ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Frau, einem Mann und, wie gesagt, einem Jack-Russell-Terrier. Von solchen Hunde-Liebes-Literatur-Geschichten gibt es ja einige inzwischen. Viele sind lesenswert, dieses ganz besonders. Viel Spaß dabei.
Denis Scheck, Christina Schenk, Stubbs: „Der undogmatische Hund“. Kiepenheuer & Witsch. 288 Seiten, 22 Euro.