Foto-Buch Bewegende Alzheimer-Fotos

Düsseldorf · Der britische Fotograf Phillip Toledano hat ein Buch über seinen dementen Vater gemacht. Es zeigt vollkommen ungeschönt den Zerfall eines Körpers - und eines Geistes. Doch die Haltung des Fotografen ist nicht voyeuristisch, sondern die eines liebenden Sohnes, der Abschied nehmen muss.

Eindrücke aus "Letzte Tage mit meinem Vater"
8 Bilder

Eindrücke aus "Letzte Tage mit meinem Vater"

8 Bilder
Foto: Toledano/Knesebeck Verlag

Der alte Mann zieht die Stirn kraus, die Augen in seinem hageren Gesicht schauen zu Boden, angespannt wirkt dieses Antlitz, in sich gekehrt. Dabei hat sein Sohn die Arme um den Alten geschlungen, drückt Nase und Stirn an die Schläfe des Vaters, hat die Augen geschlossen, als wolle er sich ganz auf diesen Moment der Nähe konzentrieren. Es ist eine innige Umarmung - allerdings eine einseitige.

Der britische Fotograf Phillip Toledano hat ein Buch über seinen Vater gemacht - über den Abschied von seinem Vater, denn den erreicht er bis zu dessen Tod nur noch phasenweise, wenn er auftaucht aus dem Vergessen. Wie weit die Demenz das Gedächtnis des Vaters bereits geschädigt hat, wird dem Sohn erst klar, als die Mutter unerwartet stirbt. Der Sohn übernimmt die Pflege des 97 Jahre alten Mannes und entdeckt zu seiner eigenen Verwunderung, dass das nicht nur Last, nicht nur Schrecken ist, sondern eine letzte Chance, dem Vater zu begegnen, ihn im Abschied kennenzulernen.

Zwischen Humor und Hilflosigkeit

Toledano nähert sich ihm durch das Medium, das zum genauen Hinsehen zwingt, durch die Fotografie. So sind überraschend leichte Aufnahmen entstanden, die zeigen, dass dementen Menschen der Humor lange erhalten bleiben kann. Toledanos Vater erzählt noch immer lebhaft und mit großer Geste von früher, macht Späße mit dem Sohn, ist so eitel wie eh und je. Er pflegt auch weiter wohltuende Gewohnheiten wie Zeitunglesen oder den Mittagsschlaf im Sessel, bekommt weiter Besuch. Die Umarmung des Sohnes ist nicht die einzige in diesem Fototagebuch.

Doch es gibt auch diesen Zettel, auf dem steht in krakeliger Handschrift: "Wo sind alle? Was geschieht?"

Und es gibt ungeschönte Bilder, die von den Härten des Altwerdens berichten. Fotos, auf denen ein immer noch schönes, faltiges Gesicht verkrampft zur Miene eines Weinenden, in der keine Tränen fließen, oder leer wirkt wie das Gesicht eines Orientierungslosen. Bilder, auf denen der alte Mann in der Badewanne liegt wie auf dem Totenbett, die Augen geschlossen, der Mund eingefallen. Oder auf denen er mit wehem Widerwillen in den Spiegel schaut. Fassungslos. Erschreckt vom eigenen Anblick.

Es sind Fotos, die den Betrachter herausfordern anzusehen, was das Alter mit einem Körper - und mit einer Persönlichkeit macht. Fotos, die danach fragen, ob dieses Hineinblenden in die Intimsphäre eines dementen Menschen überhaupt vertretbar ist. Schützen kann er sich schließlich nicht mehr. Ist das Foto also rücksichtsloser Beleg seiner Ohnmacht?

Das Alter nicht als Tabu sehen

"Es ist gut, dass die Öffentlichkeit Erscheinungen des Alters stärker wahrnimmt", sagt der Bonner Gerontologe Rolf Dieter Hirsch. "Entscheidend ist aber, dass die Betroffenen nicht nur einsam als Bettlägrige gezeigt werden, sondern in all den vielfältigen Szenen, die auch ein Leben mit Demenz bereithält." Hirsch warnt davor, nur das Schicksalhafte der Diagnose Demenz zu betonen. "Diese Krankheit löst ohnehin große Ängste und Schuldgefühle aus, weil wir immer auf die Defizite blicken, darauf, was ein Mensch nicht mehr kann, was die Pflegenden besser machen könnten, aber nicht darauf, was auch im Leben mit Demenz möglich ist."

Gezeigt wird das derzeit etwa in Spielfilmen wie "Und wenn wir alle zusammenziehen". Da spielt Pierre Richard einen liebenswerten älteren Mann, der an Demenz erkrankt und seine Selbstständigkeit einbüßt. Doch weil er zusammen mit seiner Frau und langjährigen Freunden in eine WG zieht, kann er würdig weiterleben. Die Herausforderung, seine Aussetzer auszugleichen, verteilt sich auf mehrere Menschen, die ihn von früher kennen und schätzen. Der Film ist nicht realistisch wie eine Doku, aber wirklichkeitsgesättigt genug, um eine glaubhafte Utopie zu entwerfen. Darum schätzen auch Gerontologen wie Hirsch diesen Film.

Auch als literarisches Sujet wird die Demenz entdeckt - oft aus autobiografischem Anlass: Jonathan Franzen hat einen Essay über "Das Gehirn meines Vaters" verfasst. Arno Geiger beschreibt in "Der alte König in seinem Exil" den geistigen Verfall seines Vaters mit all den verzweifelt hilflosen, aber auch irrwitzig weisen Momenten. Das Buch ist sensibel, von einer zärtlichen Wehmut getragen, doch auch Geiger beschreibt ein Leben in seinem schwächsten Moment, analysiert den Vater, ohne dass der sich noch wehren könnte.

Während bei Schriftstellern aber immer noch die Sprache zwischen Wirklichkeit und Publikum tritt, ist die Fotografie radikal direkt. Sie umschreibt nicht, überlässt die Reflexion dem Betrachter. Doch auch in der Fotografie gibt es den Unterschied zwischen Realismus und Voyeurismus, zwischen Wahrhaftigkeit und Sensation. Phillip Toledanos Bilder sind der Versuch, die Persönlichkeit des Vaters festzuhalten, als sie ihm selbst entgleitet. Es ist ein Versuch, ehrlich zu sein, ohne Zuneigung zu verbergen. Man erschreckt darum über manche der Bilder. Doch es ist kein Erschrecken über unzulässige Nähe, sondern über die Anzeichen des Todes im Leben. Ein Erschrecken, das den Lebenden bisweilen guttut.

(das/felt/csr/csi)