LitParade Angela Nanetti: Mein Großvater war ein Kirschbaum

Bücher kann man auf viele Arten lesen - vielleicht auf dem Kopf stehend oder bequemer in einer Hängematte liegend, kreuz und quer oder brav von vorn. Ziemlich wunderlich werden manchmal Geschichten auch, wenn man erst das Ende liest und dann rätselt, wie es dazu überhaupt kommen konnte.

Und gekommen ist es so: Tonino sitzt ganz hoch oben in der Krone des mächtigen Kirschbaums, derweil unten ein Riesenaufgebot an Erwachsenen den Jungen anfleht, endlich und gaaaanz vorsichtig runterzukommen: Mutter und Vater sind da, der Bürgermeister und die Feuerwehr, seine Lehrerin, ein Journalist und ein Baggerführer mit Bibergesicht; und aus der Stadt sind auch noch Oma Antonietta, Opa Luigi und Hund Floppy gekommen. Also mächtig was los unterm alten Kirschbaum, der übrigens Felice heißt und in den sich der tote Großvater Ottaviano verwandelt hat. Eben genau so, wie Großmutter Teodolinda nach ihrem Tod in die Gans Alfonsina schlüpfte.

Vielmehr sollte man gar nichts verraten von dieser Geschichte vom Abschiednehmen und die beste Zabaione der Welt, eine Geschichte vom Baum und von der Gans und über den Vorteil, die Augen zu schließen, wie es der Großvater dem kleinen Tonino erklärt: "Wenn du aufmerksam zuhörst und gut aufpasst, kannst du so viel sehen, als hättest du die Augen offen. Und jetzt hör mal, wie der Kirschbaum atmet." Brav von vorn lesen kann man die Geschichte aber auch.

Von Lothar Schröder

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