Andrea Camilleri: Der zweite Kuss des Judas

Es ist diesmal keine Geschichte über den Genießer Montalbano, dem schrulligen Commissario im sizilianischen Nest Vigàta, der mit seiner weit entfernten wohnenden Freundin Livia streitet und sich von seiner Haushälterin feinste Köstlichkeiten auftischen lässt.

Das jüngste Werk von Andrea Camilleri "Der zweite Kuss des Judas" ist ein historischer Krimi und spielt am Ende des vorletzten Jahrhunderts, allerdings auch auf Sizilien und auch in Vigàta. Und auch die Lösung des Falls ist echt sizilianisch.

Das Ungemach beginnt am Karfreitag 1890 in Vigàta, als der Darsteller des Judas im jährlichen Passionsspiel nach der Aufführung spurlos verschwindet. Dieser Judas ist der ehrbare Direktor der örtlichen Bankfiliale, verheiratet mit einer ebenso honorablen und reichen Dame aus bester Familie.

Die Ermittlungen führen ein Commissario der Polizei und ein Maresciallo der Carabinieri. Sie haben sich herum zu schlagen mit unglaubwürdigen Zeugen, mit gewalttätigen Analphabeten, mit halb verrückten und selbst ernannten Experten, mit der larmoyanten Ehefrau und nicht zuletzt mit Bankangestellten, mit Kirchenfürsten und Staatssekretären, mit Mafiosi und auch mit ihren Vorgesetzten.

Eine sizilianische Version der Lösung

Die Ermittler scheinen zunächst maßlos überfordert und unfähig, den Fall jemals zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. In ihrem Schlussbericht jedoch decken sie die allzu menschliche Lösung auf. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, finden sie sozusagen eine sizilianische Version dieser Lösung.

Ein ungewöhnlicher Camilleri liegt hier vor, nicht weniger faszinierend allerdings als die Montalbano-Krimis. Camilleri erzählt die Geschichte des historischen Krimis ausschließlich anhand von Polizeiberichten, Zeitungsartikeln, Leserbriefen und persönlichen Briefen. Das ist über weite Teile spannend. Manchmal ist die Sprache zwar etwas gestelzt, die Geschichte etwas langatmig. Oft ist beides aber amüsant und witzig. Schön zur Geltung kommt der ewige, bis heute andauernde Futterneid zwischen Polizei und Carabinieri.

Und geradezu sehr speziell ist die Übersetzung: Camilleri lässt beispielsweise einen Engländer einen "richtigen" Fehler machen und ihn sagen: "ich habe gewesen" statt "ich bin gewesen". Und die deutsche Übersetzung nimmt diesen "richtigen" Fehler richtigerweise auf. Bravo!

(248 Seiten)

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