Ausstellung in Bonn Das Gespenst Hitler ist wieder da
Bonn · „Nach Hitler“ heißt die neue Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte: Vier Generationen und ihr Blick auf den Nationalsozialismus werden vorgestellt.
Hakenkreuz und Jubel, undefinierbar wabernde Klänge, irritierende Fragmente aus dem Propagandafilm „Der Sieg des Glaubens“, den Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl 1933 drehte: Gleich zu Beginn der Ausstellung wird die Faszination aufgerufen, die der Nationalsozialismus bei vielen Deutschen hervorrief, die Hitler feierten – und wählten. Eine Faszination, die sich erschreckend lange bis weit nach 1945 hielt.
Auf Hakenkreuz und Jubel folgen bald Elend und Tod. 1933, als Riefenstahl ihren Dokumentarfilm über Hitlers Reichsparteitag drehte, musste Billy Wilder, Sohn jüdischer Eltern, Deutschland verlassen. In Hollywood sollte er Karriere machen mit Komödien wie „Manche mögen’s heiß“. Aber zuerst, nur zwölf Jahre nach 1933, entsteht sein Dokumentarfilm „Todesmühlen“ mit erschreckenden Bildern aus den Archiven des US- und britischen Militärs, unter anderem von der Befreiung des KZ Bergen-Belsen. In der Ausstellung eröffnen gleich nach der Propaganda von Riefenstahl Bilder aus „Todesmühlen“ den Parcours im Haus der Geschichte und Wilder fragt „Wie geht ihr mit diesem Erbe um?“
„Eine Frage, die auch wir uns gestellt haben“, sagt Hanno Sowade, der Kurator der Ausstellung über die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Der Historiker Sowade weiß nicht, ob er sich wirklich freuen kann über die Brisanz dieser Schau: „Das ist ein Thema, das seit 80 Jahren in Deutschland immer wieder thematisiert wird, man verschweigt es, man spricht darüber, verdrängt es. Dass es aber gerade heute so aktuell werden sollte, haben wir nicht vorausgesehen.“
Der Umgang mit Hitlers brauner Diktatur ist eine Lebensaufgabe, ein Projekt, an dem vier Generationen zu knabbern hatten. Eine Fotogalerie auf unterschiedlichen, zeittypischen Tapeten ruft die Protagonisten auf. Da ist die Erlebnisgeneration, die der Jubelnden und Täter, aber auch Opfer und Verfolgten. In der neuen Bundesrepublik wird geschwiegen, in der DDR der antifaschistische Gründungsmythos mit Sprüchen wie „Nazis gibt es nur im Westen“ genährt. Die Kindergeneration fragt ab den 1960er Jahren ihre Eltern unverblümt: „Was habt ihr getan?“ Es ist die Generation, die Krieg und Entbehrung oft nur vom Hörensagen kennt, sie hat vom Wirtschaftswunder profitiert und träumt vom Systemwechsel. Die Enkelgeneration lebt in einer Zeit der Krisen – Frieden, Natur und Wohlstand stehen sind bedroht. Ihr Umgang mit dem Nationalsozialismus ist eher analytisch als emotionsgeladen. Und die nach der Wiedervereinigung geborene vierte Generation erlebt das Unvorstellbare: Juden haben wieder Angst in Deutschland.
Der Parcours im Haus der Geschichte startet im Jahr 1945: Deutschland war besiegt, traumatisiert, ausgebombt. Jeder war auf der Suche. Von diesem Zeithorizont aus beleuchtet die Ausstellung die Erlebnisgeneration. Hitler-Straßenschilder werden abmontiert, Porträts übermalt. Hedwig Maria Ley verbuddelt die von ihr geschaffene offizielle Hitlerbüste im Garten. Später wird jemand die Büste ausgraben und sie sich 20 Jahre lang aufs Kaminsims stellen. Hitler verschwindet nicht, in Zyklen taucht er wieder auf.
Etwa in Heimerzheim, da fahren an Karneval 1952 Hitler und Göring als Symbole des Bösen im Papp-Panzer mit im Zug – als kritischer Beitrag zur Wiederbewaffnungsdebatte. Allensbach fragt in den 1950er Jahren, wie man Hitler einstufe: 22 Prozent nennen ihn einen großen Staatsmann, für elf Prozent ist er ein großer Führer. Die Nachkriegszeit ist auch die Zeit der Kontinuitäten: Die „Stunde Null“ gibt es nicht. Nazi-Parteigänger und Funktionäre erleben als neue Stützen der Gesellschaft in Wirtschaft, Polizeidienst und Politik ihre Renaissance. Und sind wieder wer. Während eine Überlebende des KZ Theresienstadt nach der Befreiung eine Fahrkarte in die Hand gedrückt bekommt, fahren sie nach Hause. Was ist zu Hause, wo ist es? Die Karte ist für Sowade das bedeutendste Exponat der Schau.
Konrad Adenauer tritt für die Entschädigung Israels ein. Seine CDU verweigert ihm die Gefolgschaft, mit der SPD und gegen die herrschende Meinung in Deutschland drückt er das Gesetz durch. Für das erste Kapitel der Schau braucht man gute Nerven.
In den 1960er Jahren betritt die Kindergeneration das Parkett, der Ton wird rauer, die Faktenlage dichter: Es ist die Zeit der Auschwitz-Prozesse. In einem wilden, aber differenzierten Stakkato skizziert „Nach Hitler“ das Szenario: Proteste gegen Hakenkreuzschmierereien; ehemalige SS-Angehörige dürfen nicht mehr ihr jährliches Ehemaligentreffen feiern, die Presse steigt groß ein. Der „Führer“ ist wieder da: Platten mit Hitlerreden erscheinen in 100.000er Auflagen; Joachim Fest veröffentlich 1973 seine berühmte und lesenswerte Hitler-Biografie; der Obersalzberg, Hitlers Alpenfestung, wird zum Tourismusmagnet. Aber auch: Erste Opfergruppen machen auf sich aufmerksam.
Tapetenwechsel: Für die Generation der Enkel verändert die vierteilige US-Serie „Holocaust“, 1979 ausgestrahlt von allen dritten Programmen bis auf den Bayerischen Rundfunk, schlagartig den Blick aufs „Dritte Reich“. Mehr als 20 Millionen Deutsche sehen die Serie. Keine 20 Jahre später wandelt sich der Blick auf Hitlers Wehrmacht: Die umstrittene Wehrmachtsausstellung sorgt für heftige Kontroversen. Die Verfolgtengruppen artikulieren sich stärker: Sinti und Roma stürmen in Heidelberg ein noch existierendes Rasse-Archiv; die Gruppe der Opfer von Euthanasie- und Zwangssterilisation etabliert sich; die Homosexuellen wollen sich als eigene Opfergruppe präsentieren, die Vereinigung der ehemaligen Dachauer Häftlinge aber lehnt ihren Gedenkstein ab.
Die nach der Wiedervereinigung geborene vierte Generation ist die letzte, die noch KZ-Überlebende wie Margot Friedländer kennenlernen wird. Diese Generation erlebt rechtsextreme Ausschreitungen, einen erstarkenden Rechtsradikalismus: Perfide Nazi-Devotionalien stehen beleuchtet im Fenster, beim Berliner Deportierten-Mahnmal „Gleis 17“ brennt 2023 eine Bücherbox mit jüdischer Literatur aus.
Verkohlt steht die ehemalige Telefonzelle vor dem Ausgang der Schau. Nachdenklicher, aufwühlender Schlusspunkt einer schwierigen, exzellent inszenierten Ausstellung, die keine einfachen Antworten auf drängende Fragen liefert.