Bob Dylan besser denn je

Mainz Wenn jemand sagte, Bob Dylan sei auf der Bühne noch nie so gut gewesen wie heute, könnten die Skeptiker einwenden: "Was ist mit dem Newport-Folkfestival?", "1966 in England?", "Rolling Thunder Revue 1975?" Trotzdem wird niemand, der dabei gewesen ist, leugnen, dass das ein großartiger, kaum zu übertreffender Auftritt war unter freiem Himmel im Volkspark Mainz. Neben Hamburg (gestern Abend) einer von zwei Auftritten in Deutschland.

Dylan feiert das eigene Werk. Nicht weihevoll. Er hält seine Songs frisch, indem er sie variiert, ihre tragenden Elemente neu zusammensetzt. Bei "Tangled Up In Blue", einem dieser dramatischen Monologe über eine schwierige Beziehung, spielen Dylan und Band die Akustik-Gitarre, die Mundharmonika, das unbekümmerte voranspazierende Schlagzeug – wie im Original. Und doch spielen sie einen ganz neuen Song. Der große Songwriter bläst in die Mundharmonika, dass man sie noch nie so eindringlich gehört zu haben glaubt, und bellt seinem Publikum den Text der letzten Strophe im krächzenden Stakkato entgegen.

Überhaupt, diese Stimme. Über die Jahre hat sie sich mehr und mehr der Rolle des alten, weltweisen Mannes angepasst. Der Rolle, die Dylan schon spielt, seit er als blutjunger Musiker 1961 in New York ankam und allen erzählte, er habe auf Güterzügen das Land durchreist.

Damals wühlte er sich durch Plattensammlungen von Freunden, sog den Sound des alten Amerika in sich auf und wurde zum tief verwurzelten, poetischen Folksänger. Heute ist er selbst die amerikanische Songtradition in Person. Eine alte, knorrige Eiche, von deren Jahresringen man die Daten seiner verstorben Helden wie Woody Guthrie und Hank Williams ablesen kann.

Dylan, der seit bald 20 Jahren mit Hut und engem schwarzen Anzug wie ein alter Südstaaten-Gentleman auftritt, ist eine lebende Legende, und das scheint allseits so anerkannt, dass im Publikum alle Altersgruppen vertreten sind. Kinder nehmen für ihre Eltern Handyvideos auf, wie sie zu "Like A Rolling Stone" tanzen. Später stehen die Teenager reihenweise am Merchandising-Stand und kaufen Poster für ihre Jugendzimmer. 7700 tanzende Menschen mit glücklichen Gesichtern füllen spätestens bei der Zugabe "All Along The Watchtower" das ausverkaufte Open-Air-Areal. Weil Dylan und seine Never-Ending-Tour-Band einen fröhlich rumpelnden, optimistischen, warmen Sound spielen. Selbst das eigentlich deprimierende "Blowing In The Wind" unterlegen sie mit einem Bluesrock-Shuffle, der direkt in die Beine geht. Als ob Dylan sagen möchte: "Die Welt ist schlecht, hey, das wisst ihr auch aus meinen Songs. Aber warum dann selbst ein Griesgram sein?"

(RP)
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