Science-Fiction-Klassiker Zurück in die Zukunft

Los Angeles · Der Film „Blade Runner“ kam 1982 ins Kino, spielte aber im Jahr 2019. Die Wiederbegegnung zeigt: Seine Zukunftsvision ist hellsichtig.

 So fühlt es sich an, im Jahr 2019 zu leben: Harrison Ford als Rick Deckard in „Blade Runner“ von Ridley Scott.

So fühlt es sich an, im Jahr 2019 zu leben: Harrison Ford als Rick Deckard in „Blade Runner“ von Ridley Scott.

Foto: imago/Prod.DB/imago

Oberflächlich betrachtet sieht die Gegenwart heute besser aus als die Zukunft von damals. Der Film „Blade Runner“ erschien 1982, er ist das größte Kino-Kunstwerk jener Dekade und einer der besten Science-Fiction-Filme überhaupt. Seine Handlung spielt im November des Jahres 2019: Das ist Los Angeles, und der Stadt geht es offensichtlich nicht gut. Es hört nie auf zu regnen, Tiere gibt es nicht mehr; in den von blinkenden Werbelogos illuminierten Straßen hetzen die Menschen durch ihren hochverdichteten Arbeitstag. Die Sonne hat ihre Kraft verloren, und die düstere Architektur erinnert an Mordor aus dem „Herrn der Ringe“ – allerdings in der High-Tech-Variante.

Die Menschen haben begonnen, Kolonien auf anderen Planeten zu bauen, und die Arbeit dort übernehmen sogenannte Replikanten. Das sind künstliche Wesen, die haargenau aussehen wie Menschen. So genau, dass kaum jemand Mensch und Maschine auseinanderhalten kann. Harrison Ford übernimmt nun als Rick Deckard den undankbaren Job, Replikanten zu entlarven, die sich auf die Erde verirrt haben. Dabei weiß niemand genau, ob er nicht selbst einer ist.

2019 ist ein Fluchtpunkt für das Science-Fiction-Kino. „Die Insel“ von Michael Bay spielt in diesem Jahr, der Animationsklassiker „Akira“, „Dark Angel“ von James Cameron und „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger – jener Film, in dem die Weltwirtschaft kollabiert, Lebensmittel und Öl knapp werden und der mächtigste Mann der Welt ein Game-Show-Gastgeber ist. Es lohnt sich, über solche oberflächlichen Parallelen zu unserer Zeit hinaus diesen Produktionen wieder zu begegnen. Vor allem „Blade Runner“, der voller Fragen steckt, die bei Kant entliehen sind, wie die „Welt“ bemerkt hat.

Es ist verblüffend, wie tief in diesem Film die Ängste seiner Entstehungszeit verhandelt werden. Und wie klug sie über ihre Zeit hinaus weitergedacht werden. Im Grunde ist das Meisterwerk des britischen Regisseurs Ridley Scott ein großer Essay über das Thema Empathie. Gleich zu Beginn wird der „Voight-Kampff-Test“ eingeführt, der dem Turing-Test nachempfunden wurde, mit dem man Menschen von Maschinen unterscheiden kann. Ein Replikant soll sich in dieser Szene vorstellen, er finde in der Wüste eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt und mit den Beinen strampelt: „Warum helfen Sie nicht?“ Das ist das existenzielle Prinzip: Sag mir, wie du fühlst, und ich sage dir, ob du ein Mensch bist.

Im Film benutzen Menschen fliegende Autos und tippen auf kastenförmige Computer-Ungetüme. Wenn man diese Zukunftsentwürfe eins zu eins übertragen wollte, wäre es leicht, sich über den Film lustig zu machen. Unter der Ausstattung wartet indes eine philosophische Ebene, die verblüfft. Dass die von der Firma Tyrell Corporation regierte Welt hier so sehr nach Endzeit aussieht, liegt daran, dass die Menschheit das Klima nicht besser behandelt hat, dass der Kapitalismus nicht gezähmt wurde, dass Daten nicht geschützt wurden und dass die Technik längst schlauer ist als ihre Erfinder. Ein bisschen „Zauberlehrling“ steckt in „Blade Runner“, etwas „Schöne neue Welt“, dazu „Metropolis“ und „Karl der Käfer“.

Der Film vermittelt das Gefühl, Ridley Scott habe geahnt, dass eine Zeit kommen wird, in der wir Schwierigkeiten haben, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Die Menschen in „Blade Runner“ trauen ihren Erinnerungen nicht mehr, weil sie sich nicht auf ihre Gefühle verlassen können. Sie leben kaum noch in traditionellen Konstellationen wie Familie oder Paarbeziehung. Sie sind fortwährend damit beschäftigt, nach einer Identität zu suchen.

Was bedeutet es, ein Mensch zu sein?, fragt dieser Film. Er grenzt das Existieren vom Leben ab. Ridley Scott wählte als Vorlage eine Geschichte von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968: „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ Sie spielt im Original 1992, in späteren Ausgaben 2021. Ridley Scott schienen 37 Jahre Abstand auszureichen. Er mutmaßte, dann werde es soweit sein, dass man über Maschinen-Ethik diskutiere, über Künstliche Intelligenz und genetisches Programmieren. Und er hatte recht. Das Thema ließ Scott keine Ruhe, er kehrte immer wieder zu seinem Film zurück und betrachtete ihn als work in progress, was der Produktion nicht immer gut tat. Inzwischen existieren vier Fassungen. 2017 kam die Fortsetzung hinzu: der von Denis Villeneuve inszenierte „Blade Runner 2049“.

Auffällig ist, dass die Veränderung der Menschen in Ridley Scotts „Blade Runner“ parallel zur Veränderung ihrer Sprache verläuft. Die Menschen in den Straßenschluchten kommunizieren mit einem flüssigen Gemisch aus internationalen Idiomen, vor allem Englisch, Chinesisch und Slang. Die Upper Class spricht hingegen reines Englisch, und sie legt es sich zurecht, korrigiert es in Nuancen, maskiert Sinn, verstärkt Uneigentlichkeit. So werden als Replikanten identifizierte Wesen nicht ausgelöscht, zerstört oder getötet. Sondern „in den Ruhestand versetzt“. Diese Sprache ist fake, und wenn man die Sprache als ein Zur-Welt-Kommen und In-der-Welt-Sein erachtet, beginnt man zu verstehen, warum sich die Menschen im Jahr 2019 unwohl und orientierungslos fühlen.

Die traurigste Figur in „Blade Runner“ ist die Replikantin Rachael, die so gern ein Mensch wäre. Sie wünschte, ihre Erinnerungen wären echt und ihre Gefühle ihre eigenen. Aber sie erkennt: Alles ist bloß programmiert und projiziert. Schlimmer geht es nicht.

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