Interview Bischof Helmut Dieser „Unsere Schuhe sind zu groß“

Aachen · In Zeiten des tiefgreifenden Umbruchs richtet der Aachener Bischof Helmut Dieser die Frage an seine Kirche: Wozu sind wir eigentlich da?

Foto: Krebs, Andreas (kan)

Das Bistum Aachen mit seinen gut eine Million Katholiken und zurzeit 326 Pfarreien steckt mitten im umfangreichen Umbau: „Heute bei Dir“ heißt die von Bischof Helmut Dieser angestoßene und auf drei Jahre angelegte Reforminitiative.

Der Dialogprozess in Ihrem Bistum steht auch in der Kritik. Unter anderem weil die Teilnehmer dazu ausgewählt wurden und sich manche ausgeschlossen fühlen. Können Sie das nachvollziehen?

Dieser Unser synodaler Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“ im Bistum Aachen bietet vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten, so zum Beispiel auch die im Mai und Juni anstehenden Themenforen, zu denen ich herzlich einlade. Der Weg, den wir suchen, liegt zwischen Autoritäten und demokratischen Entscheidungen. Die Stimmung ist sehr polarisiert, wir haben unterschiedliche und starke Meinungslager, die kaum noch eine Brücke zueinander finden. Und wir sind in der dramatischen Situation, dass nur noch eine ältere Generation sich engagiert. Die Jugend ist woanders. Wir müssen uns darum die Mühe machen, miteinander so zu reden, dass die verschiedenen Meinungen wirklich einander begegnen können.

Wie schwierig ist es in diesem Prozess, sich selbst in Frage zu stellen?

Dieser Die Wahrheitserkenntnis liegt nicht nur beim Bischof, sondern auch in allen Gläubigen. Das heißt: Wir müssen einander zuhören. Die Menschen müssen reden, und der Bischof muss zuhören. Aber dabei darf ich natürlich meine eigenen Überzeugungen nicht verschweigen. Es gibt darum auch schwierige Dialoge. Ich könnte momentan etwa nicht dafür eintreten, dass Frauen zu Priestern geweiht würden. Und das sage ich den Leuten auch. Aber es ist einiges denkbar in der Frage, wie Frauen stärker als bisher in Leitungsfunktionen eingebunden werden können. Im Bischöflichen Generalvikariat zum Beispiel haben wir schon viele Frauen in Leitungspositionen.

Könnte sich mit dem Weiheamt für Frauen und dem Ende des Pflichtzölibats für Priester das Erscheinungsbild der Kirche wandeln?

Dieser Das sind Symbolthemen. Wobei beim Zölibat immer unterstellt wird, dass er sexual-pessimistisch ist. Das ist eine Fehldeutung, die auch zu unguten Verhältnissen geführt hat. Wenn wir nämlich mit dem Priesteramt nur Personen anziehen, die eine regressive Persönlichkeitsreife haben und nicht gelernt haben, mit ihrer eigenen Sexualität umzugehen, dann kann diese Lebensform sogar eine Gefährdung sein. Das Thema ist also erst einmal vorbelastet.

Was spricht gegen die Abschaffung?

Dieser Der Zölibat ist keine Erfindung von verklemmten alten Männern, die andere junge Männer unter eine Knute zwingen wollen. Es ist eine Lebensform, die damals im Christentum schon revolutionär war, dass man für die Sache Jesu alles aufgibt, selbst die eigene Familienplanung. Das ist eine Ursprungsform der Nachfolge Jesu. Von daher ist es nicht sekundär. Ein Problem ist auch die Begrifflichkeit des Zwangzölibats – mit der Unterstellung, dass die Priester dazu irgendwie gezwungen würden. Es ist immer eine freie Wahl, den Weg als Priester einzuschlagen.

Könnte mit den Viri probati – den bewährten Männern – ein Beitrag gegen den dramatisch werdenden Priestermangel geleistet werden?

Dieser Haben wir tatsächlich einen Priestermangel? Ich würde vor allem sagen: Wir haben einen Gläubigenmangel. Das heißt, wir haben überalterte Gemeinden, die vielleicht nur noch zehn oder 20 Jahre bestehen werden. Und was haben wir dann? Darum müssen wir uns auch im Dialogprozess des Bistum Aachen die Frage stellen, wie wir verkündigungsfähig bleiben. Wir suchen nach einer missionarisch diakonischen Kirche. Und danach bauen wir erst die Strukturen. Wenn wir neue Formen haben, wie Gemeinde und Gemeinschaft im Glauben geht, dann werden wir auch andere Berufungen finden.

Bekommt die Diskussion um sexuellen Missbrauch durch Priester eine neue Brisanz, wenn auch Geistliche in Leitungsfunktionen in den Verdacht der Täterschaft kommen, wie jetzt der Düsseldorfer Stadtdechant Ulrich Hennes?

Dieser Grundsätzlich gilt, dass jedem Verdacht nachgegangen werden muss. Jeder Einzelfall ist erschreckend und beschämend, deshalb muss er aufgeklärt werden. Je herausgehobener jemand steht, desto größer ist der Anspruch der Öffentlichkeit auf Aufklärung. Die Zeiten des Schweigens und Wegschauens müssen in der katholischen Kirche ein für alle Mal vorbei sein – da dürfen wir keine Unterschiede machen.

Ist der Zusammenbruch von Strukturen letztlich nötig, um Neues schaffen zu können?

Dieser Ja, und darum müssen wir uns fragen, wofür wir eigentlich da sind. Was ist das, was Gott mit seiner Kirche heute will? In der Flüchtlingskrise ist uns das leichtgefallen: Wir sind dafür da, dass die Menschen, die zu uns kommen, menschenwürdig behandelt werden. In diesem diakonischen Tun sind wir auf alle Fälle gesellschaftsfähig. Dass muss aber auch mit dem Glauben zu tun haben. Die Frage, wozu wir da sind, ist zentral. Wir müssen in einem guten Sinn Abschied nehmen von früheren Strukturen.

Wenn wir einen Gläubigenmangel haben, gibt es dann einen Kirchenüberschuss?

Dieser Das Thema gehört zu unserem Gesprächsprozess „Heute bei dir“, aber eben nicht zuerst. Weil wir dann wieder in die Falle laufen mit der Forderung als erstes Anliegen: Wir retten meine Kirche. Die Frage muss vielmehr lauten: Was brauchen wir an Versammlungsräumen, weil wir dies und das unbedingt tun wollen? Die Sache ist doch die: Unsere Schuhe sind viel zu groß geworden; und man läuft nicht gut in zu großen Schuhen. Wie kommen wir also wieder in eine Sendungserfahrung hinein? Wie werden wieder zu einer Kirche, die zu den Menschen hingeht? Darum geht es mir vor allem.

Leiden Sie unter Ihrem Amt?

Dieser Es ist sicherlich nicht alles gemütlich und bequem in meinem Amt. Aber meine innere Überzeugung, weshalb ich überhaupt Priester geworden bin, hat keinen Schaden genommen.

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