Düsseldorf Bildhauerei ist heute Hightech

Düsseldorf · "Gesellschaft" heißt die Schau der US-Künstlerin und Düsseldorfer Akademierektorin Rita McBride in der Kunsthalle.

München diskutiert bis heute kontrovers über Rita McBrides 52 Meter hohe Plastik, die 2011 an einem Verkehrsknotenpunkt in der Stadt errichtet wurde. "Mae West" hat McBride das aus Rohren gebildete abstrakte Stabwerk genannt, das Assoziationen zu Taille und ausgestelltem Rock zulässt, was den Titel rechtfertigt. Auf beides ist McBride stolz: auf ihre künstlerische Arbeit, die die höchste in Deutschland verwirklichte Skulptur im öffentlichen Raum ist, wie auch auf die Diskussionen, die um sie entbrannten.

Alle kritischen Beiträge sammelt McBride und stellt sie auf die Homepage, druckt sie ab im Katalog. Die Rezeption ihres Werkes ist ihr so wichtig wie das Werk selbst. Damit schließt sich ein Kreis der ästhetischen Rückkopplung: Denn auch ihre Arbeiten entstehen als kritische Reaktion auf die Möblierung des öffentlichen Raumes, auf Architektur und Alltagsdesign, wie es unsere Städte und Landschaften beherrscht. Daneben sind es komplexere Zusammenhänge, für die McBride Formen und Strukturen erfindet. Das können öffentliche Orte, Kommunikationsnetze oder gesellschaftliche Vereinbarungen sein. Zusammenhänge, die unser Leben organisieren und bestimmen. Nicht immer zu unserem Besten, würde die Künstlerin sagen.

Auch für Düsseldorf kann sie sich eine raumgreifende Außenskulptur vorstellen. Der Grabbeplatz mit seinem architektonisch heterogenen Gebäudeensemble eigne sich perfekt dafür. Als Erstes, das hat McBride bei den Aufbauarbeiten zu ihrer Ausstellung in der Kunsthalle festgestellt, müsse man den Platz bereinigen, vor allem die Fahnenstangen entfernen. Darin stimmt ihr Kunsthallenchef Gregor Jansen zu und hat gleich im Eingang zur Werkschau von Rita McBride Platz gemacht für Entwürfe einer Düsseldorfer Variante der Mae West.

Jansen hat der Amerikanerin aus Iowa, die seit 2003 an der Kunstakademie Professorin und seit 2013 deren Rektorin ist, alle Räume überlassen. Die Kunsthalle wird dank ihrer Setzungen zum Verhandlungsort zeitgenössischer Kommunikation und zur Plattform für die Zukunft, der diese Bildhauerin sichtlich mehr zugewandt ist, als dass sie in der Vergangenheit verharrt.

Sehr theoretisch mag das alles klingen. Wenn man vor Ort das Werk besichtigt, verströmt es dank seiner kühnen, strengen Ausformung und seines ästhetischen Kalküls ein hohes Maß an Sinnlichkeit. Es nimmt den Betrachter ein: Die Teppiche, auf denen TV-Testbilder verwebt sind, die Schablonen und Glasröhren oder der aus Sisal gefertigte Hexelerator - eine hängende Wabenarbeit aus Sechsecken.

Kaum noch ein Bildhauer schnitzt Gottheiten aus Holz. Die Bildhauerei vollzieht sich in fremden Werkstätten, in den Händen von Spezialisten ihres Handwerks und Materials. Die Idee alleine ist der Künstlerin zuzuordnen, die Farbreihen aufstellt, Materialproben macht, Skizzen zeichnet oder Pläne am PC herstellt. Bildhauerei ist heute High Tech. Und doch nicht seelenlos.

Allein das zweitberühmteste Werk von Rita McBride, das in der Kunsthalle fast einen ganzen Raum einnimmt, und wie sein Titel "Arena" schon sagt, eine halbrunde Zuschauertribüne aus Holz ist: Wie ein Rockstar ist diese 1997 entstandene Plastik um die Welt gereist, meist mit einem daran angedockten Programm zur Interaktion. So wird beispielsweise in Düsseldorf eine Performance diese Arena beleben. Das Berliner Kollektiv Discoteca Flaming Star bespielt eine ganze Nacht lang den Ort. Die Besucher sind eingeladen, zu horchen und zu schauen. Dabei können sie, statt in den Mai zu tanzen, ihr Nachtlager aufschlagen. So wird zum einen die Funktionalität der öffentlichen Tribüne ausgereizt und sich gleichzeitig ein Erlebnis von Kunst einstellen: Auf den Rängen sitzend, die Form und das Material erspürend, wird der Mensch auf sich selbst und das Sitzen zurückverwiesen. Die öffentliche Zusammenkunft bringt die "Arena" in Kontakt mit der skulpturalen Resonanz der Architektur.

Andere Arbeiten von McBride heißen "Manager", die sie auch Gerhard, Klaus oder Uwe nennt. Hier tritt wie so oft Ironie und Heiterkeit zur ernsten formalen Abwicklung. In diesen blitzweißen Kästen hat sie Stromkästen maßstabsgetreu nachgebildet und aus pulverbeschichtetem Aluminium hergestellt. Im Obergeschoss beziehen sich bronzene Parkhausmodelle oder die Tankstelle auf Theorien der Architektur, insbesondere von Le Corbusier. Am selben Ort fangen sich die Augen in Schlüsseln, Schlüsselbünden und Schlüssellöchern. Ausgeschnittener Stahl ist das, Präzisionsarbeit, mit Rost patiniert. Mit dieser Serie dokumentiert McBride eine technische Schnittstelle. Solche Schlüssel sind Relikte, heute arbeiten wir mit Codes und Plastikkarten. Aufgereiht sieht man auf die Schlüssel als überholte, aber ornamentale Artefakte. Das ist ein Verdienst dieser Künstlerin: Dass sie sozialkritisch für unsere Zeit Speicher findet und für die Zukunft bewahrt.

(RP)
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