Essen Bilder vom tristen Amerika

Essen · Der Fotokünstler Joel Sternfeld hat mit seinen Aufnahmen ein Porträt der US-amerikanischen Gesellschaft gezeichnet. Nicht der "American Dream" ist zu sehen: Die Fotos zeigen jene Einsamkeit, die die abgelichteten Personen empfinden. Seine Bilder sind jetzt im Museum Folkwang zu sehen.

Eine alte Frau sitzt am Tresen. Ihr Kopf ragt kaum über die Tischplatte. Sie schaut in ihr Portemonnaie. In beiden Händen mit rot lackierten Fingernägeln hält sie Geld. Vor ihr auf der Theke steht die leer gegessene Schüssel, daneben liegt eine durchsichtige Plastikverpackung mit blauer Aufschrift. Die Frau kneift den Mund zusammen, so dass er zu einem weiteren Strich in ihrem faltigen Gesicht wird.

Joel Sternfeld hat diese Fotografie 1975 in New York aufgenommen. Derzeit hängt sie im Museum Folkwang, in der Schau "Joel Sternfeld – Farbfotografien seit 1970". Das Museum widmet dem New Yorker die erste europäische Retrospektive mit rund 130 Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten. Das Bildnis der alten Frau zählt zu den Frühwerken. Zu Beginn wirken seine Fotos wie Schnappschüsse von Situationen, an denen Sternfeld selbst beteiligt gewesen ist. Hier ein lachendes Mädchen im Auto, dort spielende Kinder am Strand. Sternfeld ist Teil des Kunstwerks, etwa wenn sich der Blitz seiner Kamera in den Scheiben spiegelt.

Sternfeld bildet die Momente perfekt ab und schafft damit unwiederbringliche Situationen. Der Surfer, der gerade unter der Welle verschwunden ist; die junge Frau im grünen Kleid, die über eine Straße gehen will und daran gehindert wird, weil das gelbe Taxi ihr den Weg versperrt. Sternfeld überzeugt mit seinem Blick für das Ungewöhnliche und Einzigartige. Er hat keine Scheu zu fotografieren – selbst in skurrilen Augenblicken nicht, in denen der Betrachter lächeln muss. Imposant die Feuerwehrfrau, die einen prallen, orange gefärbten Kürbis kauft, während die Kollegen im Hintergrund den brennenden Dachstuhl eines Hauses löschen (1978). Hier merkt man, dass Sternfeld sich weiter entwickelt: Aus dem teilnahmsvollen Fotografen wird der beobachtende, distanzierte Künstler.

Zwei seiner in Essen gezeigten Projekte widmet er dem Klimawandel: filmische Collagen, in denen die Personen sowohl porträtiert als auch befragt wurden. "Ich bin hier, weil ich die Welt verändern will", zitiert er eine Teilnehmerin der Proteste gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua. Sternfeld hält der Gesellschaft einen Spiegel vor – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(RP)
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