Kulturhauptstadt Bewerbungen um die Kulturhauptstadt mit Rüben und Stille

Wenn es nur um die einfache Herkunft des Wortes Kultur ginge, dann wäre Hildesheim der Titel der „Kulturhauptstadt Europas 2025“ kaum noch zu nehmen. Unter cultura verstanden die Römer ursprünglich die Feldarbeit, und da lag Thomas Harling vom Hildesheimer Bewerbungskomitee ganz nah dran, als er mit einer dreckigen Zuckerrübe ans Pult trat und das „Feldkulturerbe“ seiner Stadt beschwor: die Rübe, die die Entwicklung der Stadt erst möglich gemacht habe.

Doch auch die sieben anderen Bewerberstädte gehen nicht ohne Hoffnung in Stufe zwei des Wettbewerbs, der in einem Jahr entschieden sein wird.

Die andere Wortherkunft der cultura als das Beackern der Gedanken, verfolgte Hannover mit einer völlig aus dem Rahmen fallenden Präsentation im Haus der Kultusministerkonferenz in Berlin: Schauspielerin Hannah Gibson präsentierte die Bewerbung in gepflegtestem Englisch. Sie ging nicht auf Hannover ein und folgte einem Gag von John Cage, der einst ein Musikstück komponierte, das nur aus dem Aufklappen und Zuklappen des Flügels bestand. Von den ihr zustehenden drei Minuten schwieg Gibson fast eine Minute lang.

Eher die herkömmlichen Varianten von Bewerbungsreden verfolgten die anderen sechs Städte. Die Nürnberger Präsentation fragte nach den Assoziationen, die die Menschen mit dem Namen ihrer Stadt verbinden – von Würstchen und Lebkuchen über Spielzeug bis hin zu den beklemmenden Erinnerungen an die Stadt der nationalsozialistischen Bewegung. Konsequent will die Frankenmetropole sich als Kulturhauptstadt aus der Vergangenheit nach vorne bringen.

Diesen drei Bewerberstädten aus dem Westen stehen gleich fünf aus dem Osten gegenüber. Darunter sind drei aus Sachsen: Chemnitz, Dresden und Zittau sehen in dem europäischen Wettbewerb die Chance, auch gegen Vorurteile voranzukommen, die mit ausländerfeindlichen Tendenzen in ihren Regionen verbunden werden. Alle drei Vertreter dieser Städte beschworen ihre Offenheit und Vielfalt. Chemnitz wählte die Aufbrüche, die mit neuen Namen, neuen Gesellschaftssystemen und neuen Anfängen verbunden sind, Dresden die Projekte, die – auch in Abgrenzung zu Pegida – aus der Bürgerschaft entstehen, und Zittau versteht sich im Dreiländereck mit Polen und Tschechien als Brückenbaubewerber. Gera sieht sich als die Stadt mit großem Erbe in Europas Provinz und Magdeburg will, anknüpfend an das historische Halbkugeln-Vakuum-Experiment „aus der Leere heraus“. Bisher durften Berlin 1988, Weimar 1999 und Essen 2010 den Titel tragen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort