Bewegtes Leben der Bertha Krupp

Interview Was war das für eine Frau, die im Alter von 16 Jahren das Krupp-Imperium erbte und aus der Essener Firma in zwei Weltkriegen eine Waffenschmiede der Nation werden ließ? Ihre Enkelin Diana Maria Fritz hat jetzt über Bertha Krupp (1886–1957) eine große Biografie geschrieben.

ESSEN Nicht so streng sei sie gewesen – doch ihre Enkelkinder mussten Bertha Krupp (1886–1957) immer noch mit Handkuss begrüßen. Auch daran erinnert sich die in Argentinien lebende Enkelin Diana Maria Fritz (67), die jetzt eine umfangreiche Biografie über Bertha Krupp geschrieben hat. In der geht es um eine selbstbewusste Frau, die schon als 16-Jährige Verantwortung für den Weltkonzern übernehmen musste.

Sie waren unlängst in Essen; haben Sie denn auch Villa Hügel besucht?

Fritz Der Hügel gehört für mich zum Fixprogramm, wenn ich Essen besuche; und natürlich der Friedhof, auf dem die Krupps begraben liegen.

Wenn Süddeutsche vom Hügel reden, denken sie an Bayreuth; im Ruhrgebiet denkt man an die Villa Hügel der Krupps. Ist es ein mythischer Ort?

Fritz Man muss wissen: Nach 1945 hat niemand mehr auf dem Hügel gelebt. Das letzte große Familienfest, das nach dem Krieg dort noch stattfand, war Berthas 70. Geburtstag; das war auch das letzte Mal, dass die engste Familie im großen Gartensaal noch einmal zusammenkam. Ich konnte mir als Enkelkind aber damals gut vorstellen, wie es früher dort einmal gewesen ist.

Warum hat sich Bertha Krupp nach Kriegsende 1945 geweigert, auf den Hügel zu ziehen?

Fritz Seitdem der Hügel gebaut wurde, war es der Ort, an dem die Familie in die Pflicht genommen wurde. Man hat dort in Apartments gelebt, der Rest war ein öffentlicher Ort.

War Schloss Blühnbach in Österreich für die Krupps dagegen ein Paradies?

Fritz Nur in Blühnbach konnte sich ein entspanntes Familienleben abspielen. Dorthin kamen keine Kunden, keine Geschäftspartner, keine gekrönten Häupter. Es war für die Familie das Paradies. Und nach 1945 zog die Familie nicht mehr auf den Hügel zurück, weil die Zeit vorbei und eine neue Zeit angebrochen war. Die Bundesrepublik hatte nichts mehr mit dem Kaiserreich, Deutschen Reich und dem Dritten Reich zu tun. Die Familie hatte damals empfunden, dass so ein feudales Haus in dieser Zeit taktlos gewesen wäre.

Wie hat sich Bertha Krupp gefühlt, als ihr 1945 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Essen entzogen wurde?

Fritz Das hat sie sehr getroffen.

Führte das zu einer Entfremdung von der Stadt, die sie durch ihre Stiftungen immer auch gefördert hat?

Fritz Nein, ich glaube keine Entfremdung zur Stadt selbst. Es war eine besondere historische Situation, das hat sie wohl verstanden. Aber es war natürlich eine sehr schwierige Lage für sie: Zwei Söhne waren gefallen, ein Sohn war noch in der Gefangenschaft, der Älteste, Alfried, wurde in den Nürnberger Prozessen verurteilt und der Konzern enteignet. Und in dieser Situation, in der man eigentlich Freunde brauchte, hat sich gezeigt, dass es die damalige Stadtregierung nicht war. Das trifft einen in solchen Momenten eben mehr. Sie hat das aber überwunden. Heute ist das Verhältnis zwischen Stadt und Firma wieder hervorragend.

Hat Sie im Wirken ihrer Familie im Krieg auch eine Schuld erkannt?

Fritz Sie war schon in der Lage, die Dinge differenziert zu betrachten. Sie hat Kriege – sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg – immer furchtbar gefunden. Dass Krupp wie auch andere Stahlunternehmen dafür Waffen und Munition herstellte, war ein Widerspruch, der sich nicht auflösen ließ. Sie hat ihre Familie beschützt, aber sie hat auch akzeptiert, dass die Wechselfälle des Lebens eine Rolle spielten.

Als Hitler erstmals den Hügel besuchte, hat sie sich wegen Migräne entschuldigen lassen.

Fritz Sie und ihr Mann fanden Hitler als Person furchtbar. Diese rohe Gewalt, die er ausstrahlte, war beiden zuwider. Dass ihr Mann aber eine Entwicklung durchgemacht und nachgegeben hat, ist unzweifelhaft.

Im Ersten Weltkrieg gab es eine große Kanone, die "Dicke Bertha" genannt wurde. Wie fand das ihre Großmutter?

Fritz (lacht) Bis heute streitet die Familie darüber, ob mit diesem Namen sie oder ihre Großmutter gemeint war. Es war ein Marketing-Gag, der keine Bedeutung hatte.

Mit 16 Jahren war Bertha Krupp Alleinerbin des Konzerns. Dennoch beschreiben Sie Bertha Krupp als eine Frau, die im Hintergrund stand.

Fritz Man muss die Zeit bedenken. Damals war es nicht üblich – auch wenn sie die Firma erbte –, dass sie groß in Erscheinung trat. Sie hat die Familienpflicht übernommen, aber sie war über alles, was in der Firma geschah, bestens informiert und hat an wichtigen strategischen Entscheidungen teilgehabt. Nach außen vertreten wurde das durch ihren Mann. Sie war täglich in der Firma, aber stets in der Funktion der Erbin, nicht einer Direktorin.

Was auf den Fotos auffällt: Sie hatte immer die gleiche Frisur . . .

Fritz Sie war vollkommen uneitel und hatte kein Interesse an Mode. Sie hat sich gekleidet, wie es notwendig war, und hat nie etwas anderes benutzt als Nivea-Creme.

Wie haben Sie Bertha Krupp persönlich erlebt?

Fritz Sie war zu uns weitaus weniger streng als noch zu ihren eigenen Kindern. Aber wir haben sie auch als ganz kleine Mädchen noch mit Handkuss begrüßt.

(RP)
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