Literatur Bernhard Schlink übt den Abschied – in neuen Erzählungen

Berlin · Nach „Liebesfluchten“ und „Sommerlügen“ hat Bernhard Schlink jetzt seinen dritten Band mit neun Erzählungen veröffentlicht: Er heißt „Abschiedsfarben“ - und ist schon auf den maßgeblichen Bestsellerlisten weit oben zu finden.

 Bernhard Schlink. Foto: dpa

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Foto: dpa/Annette Riedl

Im Grunde kann Bernhard Schlink kaum etwas falsch machen. Weil Neuerscheinungen mit seinem Namen auf dem Cover in den maßgeblichen Bestsellerlisten weit oben einsteigen und dann irgendwann und oft für Wochen Spitze sind. Das ist auch mit seinem neuen Buch so; es ist sein dritter Band nur mit Erzählungen und kommt im Titel – wie auch die beiden Vorgänger – mit nur einem Wort aus: Nach „Liebesfluchten“ und „Sommerlügen“ jetzt also die „Abschiedsfarben“.

Und weil er nie ein großer Geheimniskrämer war, erfährt man gleich auf Seite 1, woran man diesmal ist: „Sie sind tot – die Frauen, die ich geliebt habe, die Freunde, der Bruder und die Schwester und ohnehin die Eltern, Tanten und Onkel. Ich bin zu ihren Beerdigungen gegangen, vor vielen Jahren oft, weil damals die Generation vor mir starb, dann selten und in den letzten Jahren wieder oft, weil meine Generation stirbt.“

Das ist das Motiv der neun Erzählungen, das ist ihr Ton – und beides wird Schlink auf den nachfolgenden 240 Seiten nicht mehr verlassen. Natürlich stellt sich bei einem 76-jährigen Autor auch die Frage, wie autobiografisch das alles ist. Irgendwie durchlitten, erfahren und gehört dürfte vieles sein. Etwas direkter aus dem eigenen Leben gegriffen ist allein die Geschichte über die Nachricht zum Selbstmord seines älteren Bruders und die darauf einsetzende Selbstbefragung des Erzählers. Bemerkenswert, dass Schlink dafür die Ich-Perspektive mied.

Der Startschuss zum Bestsellerautor ist zwar bekannt, doch lohnt es sich auch für das neue Buch, auf die Besonderheit zu schauen. Denn Schlink ist nicht nur einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, die auch in den USA gefeiert werden. Er dürfte der einzige sein, dessen Erfolgskarriere dort überhaupt begann, genauer: in einer TV-Show, in der Oprah Winfrey den Roman „Der Vorleser“ über den grünen Klee lobte. Und plötzlich schaute alle Welt auf den deutschen Juristen und seinen Roman, der dann in 50 Sprachen übersetzt wurde.

Schlink hat ein untrügliches Gespür für unerwartete Handlungsverläufe, für Dramatik, für Spannung. Und darin enttäuscht er seine Leser nie. Wo Schlink draufsteht, ist immer auch Schlink drin. So auch in den Geschichten der „Abschiedsfarben“ – in der Begegnung mit der unerfüllten Jugendliebe, mit der Schuld am Unfall des Bruders und der lebenslangen Buße; in der stillen Beobachtung, wie eine geliebte junge Frau des Nachts ermordet wird; im Verrat eines Freundes an die Stasi und dem späten Geständnis; in der Liebe eines alten Schriftstellers zu einer jungen Journalistin, der der Erotik der Jugend erliegt und doch weiß: „Er würde in ihrem Leben bleiben, so lange sie ihn ließ.“ Es ist ein Buch voller bitterer Wahrheiten, voller Schuldbekenntnisse und der melancholischen Annahme des oft unerfüllten, bisweilen sogar unerwünschten Lebens. Viele Erzählungen ähneln in diesem Sinne auch Beichten in Variationen.

Bernhard Schlink – einst Jura-Professor in Bonn und Berlin sowie Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen – ist nie der innovative Erzähler gewesen, der permanent erprobt, zu was die Sprache fähig ist. Schlink erzählt lieber am Beispiel von Menschen, zu was das Leben in der Lage ist. Und natürlich sind dabei Grenzüberschreitungen unserer Existenz die spannendsten Momente. Nicht zufällig hat Bernhard Schlink seine Schriftstellerkarriere als Krimiautor begonnen.

Zur Lesbarkeit tragen tatsächlich auch die sehr kurzen Kapitel bei. Manche sind nicht einmal zwei Seiten lang. Auch dahinter steckt keine ästhetische Methode, sondern Pragmatik. Die Kapitel markieren in etwa, was Schlink jeweils an einem Tag geschrieben hat. Man darf ihn durchaus einen unbekümmerten Autor nennen, der die Wirklichkeit noch immer für das Spannendste hält. Darum kommen uns viele Personen so bedenklich nahe: Wir teilen nicht ihre Lebensumstände, aber ihre Erfahrungen, ihre Gefühle, ihre kleinen Ausreden und Niederlagen. Seinen Erfolg verdankt Schlink keiner TV-Show, sondern der unausweichlichen Echtheit seiner Figuren.

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