Das neue Buch des Bestsellerautors Schlink schreibt sein erstes Drama – und scheitert

Analyse | Berlin · Ist der Tyrannenmord gerechtfertig? Auch wenn der Tyrann noch gar nicht an der Macht ist? Solche heiklen Fragen stellt Bernhard Schlink in seinem ersten Theaterstück „20. Juli“.

 Jurist und Schriftsteller: der 76-jährige Bernhard Schlink.

Jurist und Schriftsteller: der 76-jährige Bernhard Schlink.

Foto: dpa/Annette Riedl

Sein Roman „Der Vorleser“ war ein Millionenerfolg, wurde zur Schullektüre und schließlich – so ist der Gang eines Bestsellerromans – 2008 auch prominent verfilmt. Mit Kate Winslet, Ralph Fiennes, Bruno Ganz und so vielen anderen. Dieser Roman war für den Juristen Schlink zwar nicht der Beginn des Schriftstellers. Sein Debüt gab er bereits 1987 mit einem Krimi und dem bezeichnenden Titel „Justiz“. Doch der „Vorleser“ war die Geburt des Bestsellerautors, zu dessen Privilegien es gehört, dass auch nachfolgende Bücher, oftmals ungeachtet der Qualität wahrgenommen und in der Regel umfänglich bedacht werden.

Dazu zählt auch das jüngste Werk, das Schlinks erstes Theaterstück ist. Es wird als „Zeitstück“ deklariert, am Ende als ein „Gedankenspiel“ eingeordnet. Und es reiht  sich in die lange Liste seiner Bücher über Nazi-Verbrechen ein, über Gerechtigkeit und Schuld, Widerstand und Terrorismus. Solche Themen haben Schlink auch literarisch schon immer umgetrieben. Weil Romane eben nie letztgültigen Antworten geben; dafür können sie Debatten anstoßen und am Leben halten.

Diesmal geht es um den Tyrannenmord, also um das ethisch fragwürdige und staatsrechtlich umstrittene Recht, einen Diktator töten zu dürfen, wenn damit der Tod vieler Menschen verhindert werden kann. Das Stück heißt „20. Juli“, ein Titel, der holzschnittartig die Parallele zwischen der Zeitgeschichte und der Gegenwart des Stücks zimmert. Am 20. Juli 1944 wurde ein Hitler-Attentat begangen, und am 20. Juli unserer Zeit feiern fünf Freunde ihren letzten Schultag am Gymnasium. Der ist unfroher als gemeinhin üblich: So hat die rechtsextreme Partei „Deutsche Aktion“ – kurz DA – bei einer Landtagswahl regierungsfähige 37 Prozent bekommen, und ihr Führer namens Robert Peters ist eine Figur mit charismatischer Ausstrahlung. Was tun? Warten, bis die DA an die Macht kommt und dann vielleicht alles zu spät ist? Hoffen, dass der Spuk demnächst von selbst ein Ende finden wird? Oder – wie gesagt: handeln? Quasi präventiv?

Das fragen sich die jungen Leuten, mal pathetisch, mal heroisch, mal kleinlaut. Und der Geschichtslehrer sitzt mit im Boot, sieht am Abschlussabend in kleiner Runde aber zu, dass er schnell Land gewinnt, wenn es sehr konkret um die Tat geht. Das Szenario mag unrealistisch klingen, uninteressant aber ist es dadurch nicht. Und es wäre als Erzählung vielleicht auch lesenswert. Doch das Theaterstück ist es eher nicht - mit seinen Dialogen, die keine sind. Altkluge Statements reihen sich aneinander, noch unangenehmer wird es, wenn vermeintliche Jugendsprache versucht wird. Gegen Ende sind auch noch Sirenen zu hören, als in unmittelbarer Nähe ein Brandanschlag auf das Haus einer Familie aus Eritrea verübt wird. Stellenweise liest sich das wie ein sehr schlechtes Rolf-Hochhuth-Stück. Dieser hatte mit „Judith“ ja auch den Tyrannenmord auf die Bühne gebracht, wenn auch nicht in seiner prophylaktischen Variante.

Kann man Geschichte tatsächlich mit der Tat eines Einzelnen gegen einen Einzelnen in andere Bahnen lenken? Hätte ein erfolgreiches Attentat auf Hitler am 20. Juli 1931 den Zweiten Weltkrieg und den Massenmord an den Juden verhindern können? Und wer schenkt dem Attentäter überhaupt diese Weisheit, den künftigen Lauf von Geschichte erkennen zu können? Jeder spürt das Unbehagen dabei, solche Fragen wirklich zu beantworten. Sie provozieren Argumente, die zwischen einer persönlichen Verantwortung für das Gemeinwohl des Staates und dem Versuch einer Rechtfertigung von Terrorismus schwanken. Ein großes Thema der Literatur. Also gerade auch für den 76-jährigen Juristen. So ist es schon des Themas wegen fast tragisch, dass der dramatische Versuch derart missraten ist.

Info Bernd Schlink: „20. Juli. Ein Zeitstück“. Diogenes, 97 Seiten, 16 Euro

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