Neuer Roman des Bestsellerautors Schlink schreibt DDR-Geschichte

Berlin · Der 77-jährige Bestsellerautor erzählt in „Die Enkelin“ auch von eigenen Erlebnissen. Sein Roman „Der Vorleser“ machte ihn weltberühmt.

 Bernhard Schlink erlangte Weltruhm mit „Der Vorleser“.

Bernhard Schlink erlangte Weltruhm mit „Der Vorleser“.

Foto: Susanna Sáez / imago

Bernhard Schlink schreibt einfach immer weiter. Nach seiner Karriere als Jura-Professor und Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen. Und nach seinem „Vorleser“ von 1995, ein Roman, der auch dank lobender Mithilfe von US-Moderatorin Oprah Winfrey zu einem der wenigen Welterfolge wurde, den die deutsche Nachkriegsliteratur feiern konnte.

Es hat seinen guten Grund, warum der 77-Jährige weiterhin einen Roman nach dem anderen schreibt: Weil Schlink zum literarischen Chronisten deutscher Nachkriegsgeschichte geworden ist – mit all ihren Verwerfungen, ihren Anstrengungen und Vergeblichkeiten. Literarisch glückt zwar nicht immer alles, doch welches Werk ist schon frei von Blessuren.

Und nun tischt uns Schlink einen „DDR-Roman“ auf. Natürlich ist „Die Enkelin“ mehr – eine Geschichte über das Leben als Flucht, über die Unmöglichkeit anzukommen, die Last einer Schuld und der späte Zweifel an dem, was man erlebt hat. Er ist einer der besten Romane Schlinks, und besonders zwingend wird er dort, wo sich die Geschichte des Autors mit der Geschichte seines Personals kreuzt. Wie Kaspar entstammt Schlink einer protestantischen Theologenfamilie, und wie Kaspar half Schlink als Student einer Freundin zur Flucht aus der DDR. Darüber hat er nie geschrieben. Im vergangenen Jahr starb die Freundin, und mit ihrem Tod kamen die Erinnerungen zurück.

„Die Enkelin“ ist keine Autobiografie. Das eigene Erleben löste aber ein Erinnern und Erzählen aus: über Kaspar, den Berliner Buchhändler, der spätabends nach Hause kommt und seine Frau Birgit tot in der Badewanne findet. Die noch unsichere Begehung der Wohnung mit dem umgeworfenen Rotweinglas auf dem Teppich, den dezenten Spuren eines Unheils, die vergeblichen Rufe nach der immer noch geliebten Lebenspartnerin, schließlich die Entdeckung im Badezimmer: Birgit mit geschlossenen Augen, der plötzlich fehlende Boden unter seinen Füßen, die Unfassbarkeit der unvorhergesehenen Trauer, die keine Tränen gebiert.

Nach und nach kehrt die Wirklichkeit in sein Leben zurück – und mit ihr Frage, wer Birgit eigentlich war, welches Leben sie führte, welche Liebe sie lebte. Einen Abschiedsbrief gibt es nicht, wohl aber den Rechner, auf dem Birgits nie vollendeter Roman stehen könnte. Es wird die nachgetragene Recherche eines Lebens, das man doch zu kennen glaubte. Und Kaspar tritt die Nachfolge von Orpheus an, der Eurydike dem Reich der Toten zu entreißen hofft und der weiß, dass er sich mit jeder Seite, die er von Birgit liest, von der Toten weiter entfernt.

Von ihrem Kind erfährt er zum ersten Mal, und wie Birgit das Neugeborene kurz vor der Flucht fortgegeben hat und später vergeblich nach ihm zu forschen begann. Das übernimmt Kaspar jetzt aus Zorn vor ohnmächtiger Trauer. Er findet sie in einer „völkischen“ Gemeinschaft – und auch die Enkelin, die er in seinem Geist zu retten versucht.

„Die Enkelin“ von Bernhard Schlink ist ein Buch über das Leben und über das Verschweigen geworden, ein Buch über Sehnsüchte und eines auch über Deutschlands alte und künftige Lasten. Ein wieder mal sehr lesenswertes Buch.

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