Leiter der Schule Schloss Salem Bernhard Buebs Kampf der Lüge

Düsseldorf · Der frühere Leiter der Schule Schloss Salem am Bodensee hält Ehrlichkeit für eine Tugend, die Macht verleiht. Doch setze sich die Wahrheit keineswegs immer von selbst durch – vielmehr brauche sie mutige Fürsprecher.

Der frühere Leiter der Schule Schloss Salem am Bodensee hält Ehrlichkeit für eine Tugend, die Macht verleiht. Doch setze sich die Wahrheit keineswegs immer von selbst durch — vielmehr brauche sie mutige Fürsprecher.

Man muss kein Kulturpessimist sein, um Ehrlichkeit in unseren Tagen für eine gefährdete Tugend zu halten. Wird die Wahrnehmung doch bestimmt von den Geschichten der Unehrlichen, den Skandalen derer, die Steuern hinterziehen, Doktortitel erschummeln, Dopingmittel schlucken, um sich Vorteile zu verschaffen, besser dazustehen als die anderen — besser, als sie es verdienen.

Hinzu kommen die tragischen Gestalten, die sich falsch oder auch nur fragwürdig verhalten, dazu aber öffentlich nicht stehen wollen. Die verfallen dann ins Lavieren, lügen aus Scham, beharren auf einer Version der Wirklichkeit, die ihnen kein Schuldeingeständnis abverlangt — und verstärken nur den Eindruck, dass in Wahrheit die Lüge regiert, die Unehrlichen an den entscheidenden Strippen ziehen.

Und doch kann gerade die Wahrheit ungeheure Macht entfalten. Ein Märchen erzählt davon, die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern. In einer Gesellschaft der Duckmäuser und Speichellecker kann der Herrscher nackt durch die Straßen laufen, und doch wird ihm gehuldigt. Doch der Ruf eines einzigen Ehrlichen genügt, um das Gebäude der Lügen zu sprengen. "Der Kaiser ist ja nackt" — diese schlichte Beobachtung macht die Heuchelei der anderen unmöglich. Empirie schlägt Täuschung, Wirklichkeit die Lüge. Doch brauchen Gesellschaften Menschen, die solche Wahrheitssätze aussprechen, die den Mut haben, sich gegen die Mehrheit zu wenden, mit deren Erwartungen zu brechen, sich selbst angreifbar zu machen. Denn sie halten der Allgemeinheit den Spiegel vor, decken Missstände auf, regen Diskussionen darüber an, wie die Zukunft besser gestaltet werden könnte.

Bernhard Bueb, der frühere Leiter der angesehenen Internatsschule Schloss Salem am Bodensee, hat schon solche Sätze formuliert. Etwa als er ein "Lob der Disziplin" verfasste und darin Eltern, Lehrer, Erzieher mahnte, sich die Mühe zu machen, junge Menschen mit Konsequenz zu erziehen — also Konflikte zu riskieren. Das hat ihm Kritik von jenen eingebracht, die seine Streitschrift als Angriff auf die Ideale partnerschaftlicher Erziehung verstehen wollten. Und tatsächlich kann es einem Autor Applaus von der falschen Seite eintragen, wenn er hartes Durchgreifen und die Rückbesinnung auf Strenge und Disziplin fordert. Doch Bueb ging es nicht um Drill alter Prägung. Vielmehr prangerte er die Bequemlichkeit mancher Erziehungsberechtigter an, die jungen Leuten keine Grenzen setzen, weil das immer mit Auseinandersetzungen verbunden ist. Dieser Angriff auf die Bequemlichkeit war selbst eine unbequeme Wahrheit, die Erregung entsprechend groß.

In seinem neuen Buch "Die Macht der Ehrlichen" fordert Bueb nun wieder dazu auf, Haltung zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen, gemütliche Passivität zu überwinden. Bueb lamentiert nicht lange über die Unehrlichkeit in unserer Zeit, auch wenn Namen wie Hoeneß oder Wulff fallen. Dem Pädagogen geht es um die Pflicht der Ehrlichen, die Wahrheit zu verteidigen — und diese Haltung auch selbstbewusst an die nächste Generation weiterzugeben. Denn es sei naiv anzunehmen, dass sich die Wahrheit schon irgendwie durchsetzen werde. "Auch wenn Ehrlichkeit eine lebensbejahende Art zu existieren ist, kann und soll jeder daran arbeiten, aus einem naiven Zustand der Ehrlichkeit eine reflektierte Haltung entstehen zu lassen. Naivität kann viel Unheil anrichten", schreibt Bueb. Obwohl historische Entwicklungen wie jüngst der demokratische Aufbruch in der arabischen Welt die Hoffnung nähren, dass sich die Aufklärung schon irgendwann Bahn breche, braucht es doch Menschen, die etwas riskieren, damit Ehrlichkeit wie ein frischer Wind die muffigen Winkel der Gesellschaft durchlüftet, notwendige Diskussionen entfacht.

Bueb macht sich aber auch Gedanken über die Ehrlichkeit des Einzelnen, also über die Verführbarkeit zur Lüge. Gerade im Bildungssystem, in dem Bueb gearbeitet hat, ist es verlockend, sich durch Manipulationen Vorteile zu verschaffen. Schüler schreiben bei ihren Nachbarn ab, Doktoranden in anderen Werken. Bueb führt das unter anderem auf einen falschen Leistungsbegriff in Schule wie Gesellschaft zurück. "Solange Erfolg von messbaren Leistungen und nicht von individueller Anstrengung abhängt, bleibt der Druck in der Schule bestehen, die Schulleistungen durch Betrügerei zu verbessern", so Bueb. Der Pädagoge spricht sich darum auch gegen Noten aus, die bei Schülern das Gefühl von Intransparenz und Ungerechtigkeit erzeugten. Damit plädiert er natürlich auch für ein Erziehungssystem, das Heranwachsende nicht in Massen abfertigt, sondern den Anspruch erhebt, den einzelnen Schüler wahrzunehmen, seine individuellen Bemühungen anzuerkennen.

So kann Ehrlichkeit zum Hebel für eine menschlichere Gesellschaft werden. Doch kann das nur gelingen, wenn die Ehrlichen sich nicht entmutigen lassen von den Unlauteren, die sich für schlauer halten. Denn am Ende ist nicht die Lüge der Feind der Ehrlichkeit, sondern der Zynismus.

(RP)
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