Film hatte bei der Berlinale Premiere „Berlin Alexanderplatz“ als Flüchtlings-Drama

Düsseldorf · Der junge Regisseur Burhan Qurbani macht aus dem expressionistischen Döblin-Roman die tragische Geschichte eines Migranten. Das funktioniert erstaunlich gut. Die Schauspieler können allerdings nicht gleichermaßen überzeugen.

 Welket Bungue  als Francis und Jella Haase als Mieze in einer Szene der Neuverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ nach dem Roman von Alfred Döblin.

Welket Bungue als Francis und Jella Haase als Mieze in einer Szene der Neuverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ nach dem Roman von Alfred Döblin.

Foto: picture alliance/dpa/Stephanie Kulbach

Ein anständiges Leben will er führen, der entlassene Häftling Franz Biberkopf. Doch Berlin, diese dreckige Metropole, diese seelenlose Großstadt mit ihren kriminellen Geschäften und Verlockungen lässt ihn nicht in Ruhe. Biberkopf schafft es nicht, auf den rechten Weg zu finden, er ist zu schwach für die Stadt, in die er gespuckt wird. Zu schwach für die zweite Chance.

In seinem kühn montierten Werk „Berlin Alexanderplatz“ erzählte Alfred Döblin 1929 von einem Mann aus der Klasse, die man damals Lumpenproletariat nannte. Von einem Kerl, der an sich und an den Verhältnissen scheitert. Sein Biberkopf ist ein Kraftprotz, der sein Temperament nicht im Griff hat und den falschen Freunden die Treue hält. So einer kommt nicht raus aus dem Sumpf. So einer geht vor die Hunde.

Der junge Berliner Regisseur Burhan Qurbani nutzt den gefeierten expressionistischen Roman nun, um von den meist aus Afrika stammenden Drogendealern aus dem berüchtigten Berliner Park Hasenheide zu erzählen. Sein Biberkopf ist ein Flüchtling aus Guinea-Bissau, der unter tragischen Umständen in Berlin strandet. Ein gefallener Engel, der wie Biberkopf eine Schuld mit sich herumträgt. Das inszeniert Qurbani in der bildmächtigen Ouvertüre seine Films als Himmelssturz aus dem Wasser. Ein starker Einstieg, der zeigt, wie fantastisch dieser junge Filmemacher mit Bildern umgehen kann.

Doch es fehlt ihm der Mut, wie Döblin aus seiner Hauptfigur einen wirklich ambivalenten Charakter zu machen. Der Franz Biberkopf der 1920er Jahre scheitert zwar an den Verhältnissen in einer Stadt, die ihn nicht Fuß fassen lässt, aber das Rohe, Gewaltvolle, das er erlebt, ist tief in sein Wesen eingezogen und äußerst sich gegenüber Schwächeren, etwa den Frauen. Qurbanis „Francis“ dagegen hat kaum negative Züge, er ist ganz Opfer des Systems, das ihn zum Illegalen macht und ihn so in die Kriminalität zwingt. Welket Bungué spielt das mit großer Verletzlichkeit und einem inneren Stolz, der seiner Figur Würde verleiht. Man leidet mit dieser Figur. Doch die spannendere Rolle hat sein Verführer: Reinhold, der Zuhälter und Mephisto dieser faustischen Geschichte.

Dieser Reinhold wird gespielt von Albrecht Schuch, der vom Theater kommt, zuletzt aber vor allem in Film- und Fernsehproduktionen auf sich aufmerksam gemacht hat. So spielt er etwa in der Serie „Bad Banks“ einen hyperehrgeizigen Investmentbanker, der seine Aggressionen nicht unter Kontrolle hat. Auch in dem starken Sozialdrama „Systemsprenger“ ist Schuch so ein Grenzgänger, spielt in diesem Film einen verschlossenen Anti-Aggressionstrainer, der in der Therapie eines extrem aufsässigen Mädchens die professionelle Distanz unterschreitet.

In „Berlin Alexanderplatz“ macht Schuch aus Reinhold einen Dämon von Rang, der all die Demütigungen seines Lebens in Gemeinheit gegenüber noch Schwächeren verwandelt. Ein Psychopath, der manipuliert, kuscht, austeilt, Frauen wie Objekte behandelt. Sein Charakter ist so deformiert, dass auch sein Körper verkrümmt ist. Schuch verleibt sich das alles ein, und gibt mit großem Ehrgeiz einen Neurotiker, der für Menschen, die es gut mit ihm meinen, zur Gefahr wird.

Gegen so viel schauspielerische Wucht kommt Jella Haase als Francis’ Geliebte nicht an. Ihre Darstellung der Edelprostituierten Mieze kann dem Klischee nicht entkommen. Und so schwankt dieser Film zwischen packenden Szenen voller psychischer Brutalität, großartigen Bildern, die der literarischen Vorlage ein modernes Bild entgegenhalten und schwachen Passagen, in denen Nachtleben nur gespielt, Verruchtheit behauptet wird.

Trotzdem gelingt es Burhan Qurbani Döblins aus den Splittern der Realität zusammengesetzten Roman in die Gegenwart zu übersetzen und dabei etwas Eigenständiges zu schaffen. Das funktioniert überraschend schlüssig. Aus dem Klassenkampf vergangener Tage ist ja längst ein globaler Kampf um Ressourcen für ein menschenwürdiges Dasein geworden. Es geht nicht mehr darum, ein anständiges Leben zu führen, sondern überhaupt in einem Land existieren zu dürfen, in dem es wenigstens Aussicht gibt auf ein kleines bisschen Glück. Den in die Illegalität Gedrängten ist diese Aussicht verwehrt. Davon erzählt Qurbani mit größter Dringlichkeit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort