Düsseldorf Berauschend: Lang Lang

Düsseldorf · Mer muss och jönne könne – dieses rheinische Prinzip der Toleranz im richtigen Moment wurde soeben dem Pianisten Lang Lang zuteil. Die (dem glamourösen Chinesen vermutlich nicht geläufige) Redensart bedeutet ja: Fünf gerade sein lassen! Zugestehen, dass die Korrektur von Bedenken jederzeit möglich ist, vor allem im naturgemäß spendablen Düsseldorfer Februar.

In der Tonhalle spielte Lang, dessen Rang im Klavierzirkus nicht unstrittig ist, das b-moll-Konzert von Tschaikowski mit einer Brillanz, dass man die Waffen streckte. Zwar durfte man den zweiten Satz süßholzraspelnd langsam finden (und den Mittelteil fast affig schnell); zwar hängte Lang bisweilen wieder effektvolle Girlanden auf, denen er die Glühbirnen unter maximaler Gefühlsdemonstration anschraubte. Doch was er an Virtuosität, Griffsicherheit, Oktaven-Furor, an fast archäologisch geborgenen Mittelstimmen und an männlicher Attacke aufbot, war mehr als nur sportlicher Gestus. Lang bot eine enthemmte Unmittelbarkeit, die an größte Aufnahmen des Werkes erinnert: an Argerich und Horowitz, an Cliburn, Richter und Pogorelich. Famos!

Nun wurde Lang Lang aber auch präsidial, ach was: maharadschamäßig begleitet. Er saß in der Sänfte der New Yorker Philharmoniker, die dem Klavierstar eine ebenso prunkvolle wie sorgenfreie Assistenz andienten. Die Korrespondenzen zwischen Piano und Orchester griffen ineinander wie Zähnchen im Uhrwerk, aber man schmeckte mehr als nur das Öl der Feinmechanik – man erlebte den Samt der Holzbläser, die perfekt dosierte Süße der Streicher, das wuchtige Brummen und Klirren des Blechs. Schöner, aufmerksamer und vor allem zugeneigter lässt sich das Werk nicht musizieren. Man muss den Freunden und Förderern der Düsseldorfer Tonhalle heftig danken, dass sie diese Pagode der Tonkunst – als aberwitzige Türmung aus Spitzenorchester und bizarr beeindruckendem Event-Pianisten – ermöglicht hat.

Nach der Pause ließ Alan Gilbert, Chefdirigent der Philharmoniker, ein Hauptstück der Orchesterliteratur auflegen, Prokofieffs 5. Symphonie B-Dur. Und nun klappte dem Saal vor Staunen der kollektive Unterkiefer runter: Dieses Orchesterniveau war paradiesisch. Egal, ob wir uns in den breit gemalten Multicolor-Flächen des Kopfsatzes, in den gehärteten Verläufen des Scherzo oder in der feuchten, fast moosigen Tundra des Adagios befanden: Die Philharmoniker spielten mit einer glühenden Delikatesse, die an Zeiten unter Mitropoulos oder Bernstein erinnerte.

Übrigens saßen sie auf einer Ebene, ohne erhöhte Podien für die Bläser – das ergab einen erlesenen, warmen, doch nie pürierten Mischklang.

Der völlig sachdienliche, leise, wunderbar wirksame Dirigierstil Gilberts wirkte zudem wie ein Modellfall. Er verzichtet auf die Show des Maestros. Gilbert demonstriert nicht, bewacht nicht, exekutiert nicht; er formt ohne Zwang. Das ergab ein gemeinsames Atmen, ein übergroßes Strömen. So wünscht man sich Musik.

Das Publikum in der Tonhalle hatte Glanz in den Augen und gönnte auf seine Weise: Jubel ohne Ende, Bravi, Blumen.

(RP)
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