Bekannt aus „Toni Erdmann“ Theater Bochum: Sandra Hüller ist Hamlet

Bochum · Die Schauspielerin („Toni Erdmann“) ist in der Inszenierung von Johan Simons zu sehen.

 Sandra Hüller als Hamlet in Bochum.

Sandra Hüller als Hamlet in Bochum.

Foto: JU Bochum

Ob Johan Simons der richtige Intendant für das Schauspielhaus Bochum ist, weiß man zum Ende seiner ersten Saison nicht. Noch fremdelt das Publikum mit seinem avancierten und als schwer empfundenen Programm. Eins ist nach der jüngsten Premiere allerdings klar: Mit ihm hat Bochum einen grandiosen Regisseur gefunden. Ausgerechnet „Hamlet“, in dem Shakespeare das Drama unserer Existenz in voller Größe entfaltet, geht ihm jetzt leicht von der Hand – und wird in manchen Momenten sogar zur Komödie.

Sandra Hüller ist Hamlet. Im Stadttheater des 21. Jahrhunderts sollte solch eine Besetzung nicht mehr überraschen – schon gar nicht bei Johan Simons und seinem vielfältigen Ensemble. Trotzdem wirkt ihr Kostüm (Bühne und Kostüme: Johannes Schütz) wie ein ironischer Kommentar auf den Begriff „Hosenrolle“: Es besteht fast nur aus einer zu großen Hose. Sandra Hüller, bekannt als Unternehmensberaterin aus dem Kinofilm „Toni Erdmann“, kehrt den allen Menschen gemeinsamen Kern des Fühlens, Sehnens, Verstehenswollens hervor. Ihr Hamlet ist zudem ein großer Trauernder. Die Trauer lähmt alle Bewegungen, Gesichtszüge, die Motivation zur Handlung.

Der Geist des Vaters tritt Hamlet in der Bochumer Inszenierung nicht gegenüber, er spricht aus ihm, überkommt ihn. Der Auftrag, seinen Mord zu rächen, ist dieser Figur tatsächlich eine Nummer zu groß. Sie zögert und zaudert, verliert sich im Intrigenspiel am Hofe, bringt aus Versehen Polonius um, Vater der geliebten Ophelia und des Freundes Laertes.

Johan Simons schließt mit seiner Inszenierung einen Kreis zu seinem ersten Bochumer Aufschlag „Die Jüdin von Toledo“: Das Publikum erlebt wieder ein grandios aufspielendes Ensemble in einer konzentrierten Textarbeit in einem Bühnenbild aus wenigen, klaren Setzungen. Eine drehbare Waage aus einer fahlweißen Lichtkugel und einer bronzenen Wand beherrscht den sonst schwarz-weißen Raum wie eine Bebilderung der Frage „Sein oder Nichtsein?“. Manchmal verstecken die Figuren sich oder ihre Intentionen hinter dieser Wand, einmal eilen sie fremdgesteuert dem Licht hinterher wie Motten in der Nacht.

Der überragende Verdienst des Regisseurs und seiner berühmten Hauptdarstellerin ist, dass ihr Spiel in einer bis in die Nebenrollen großen Ensembleleistung aufgeht. Da überrascht Gina Haller als eigentlich starke Ophelia, die Hamlets Zustand jedoch so mitnimmt, dass auch sie sich krümmt und windet, weil sie mitfühlt, verstehen will. Da sorgt Bernd Rademacher als Polonius für den komödiantischen Teil, wenn er im Gespräch mit Hamlet vorsichtig versuchen will, seine Geisteszustand zu ergründen und dessen wirre Worte trocken kommentiert.

Nicht zuletzt ist ein toller Kniff, Jing Xiang als Totengräberin, Nachrichtenüberbringerin und Clown zu inszenieren. Sie bei Slapstick-Szenen oder dem Vergießen kindlicher Krokodilstränen zu beobachten, ist eine wahre Wonne. Trotzdem entbehrt ihr Dialog mit Hamlet am Grab nicht der nötigen existenziellen Tiefe. Das Publikum ist am Ende der knapp drei Stunden komplett aus dem Häuschen. So einen langen Applaus hat man in Bochum selten vernommen.

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