Düsseldorf Bedrohliches Kindertheater

Düsseldorf · Am Düsseldorfer Schauspielhaus ist derzeit eine Inszenierung von "Peter Pan" zu sehen, die manche jungen Zuschauer erschreckt. Mütter berichten, dass ihre Kinder weinen mussten, Albträume bekamen. Das Theater spricht von Einzelfällen. Doch wie viel Angst darf Theater machen?

Es ist vor allem die Szene, in der das kleine Mädchen Wendy beim Flug ins Neverland erschossen wird. Ein Knall. Dann stürzt eine Puppe aus dem Bühnenhimmel. Die arme Wendy ist tot. Dass sie später wieder aufsteht, der Schrecken nur kurz währen muss, ist für manche jungen Zuschauer nicht mehr von Bedeutung. Für sie ist der Knall zu laut, das nette Mädchen tot. Also fließen Tränen, manche Kinder wollen den Zuschauersaal verlassen und gar hinterher lieber nicht mehr ins Theater.

So berichtet eine Mutter, dass ihr Sohn, der im Herbst sieben wurde, ganz verstört vom Theaterbesuch erzählte, auch eine Szene beschrieb, in der eine Figur vom Degen tödlich getroffen, eine rote Seidenwurst aus der Weste zieht – eine Slapstick-Darstellung seines Verblutens, doch prägte sich dies Bild dem Jungen trotzdem ein und kehrte in seinen Träumen wieder. Natürlich wollen auch Lehrer solche Reaktionen nicht verantworten, und so gibt es an Grundschulen Debatten darüber, ob der Besuch des Weihnachtsmärchens in diesem Jahr nicht besser ausfallen sollte.

Dass Kinder im Theater Angst bekommen, ist keine Besonderheit der "Peter-Pan"-Inszenierung in Düsseldorf. Selbst in harmlosen Kasperltheater-Aufführungen, bei denen das Krokodil das Kasperl jagt, bis der Wachtmeister dem gefährlichen Tier eins aufs Maul gibt, kommt es vor, dass junge Zuschauer nicht fröhlich mitfiebern, sondern verängstigt nach den Eltern rufen.

Ulrike Hentschel, Professorin für Theaterpädagogik an der Universität der Künste in Berlin, hält das nicht für schädlich. In der Regel reiche es, wenn sensible Kinder in Szenen, die sie erschrecken, Körperkontakt bei den Eltern suchen, auf deren Schoß klettern und das Geschehen von dieser gesicherten Position aus betrachten könnten. "Man sollte einer Kunstform wie dem Theater nicht mit übervorsichtiger Haltung begegnen", so Hentschel. "Es gibt eine kindliche Lust am Schrecken, darum erzählen Kinder auch selbst gern brutale oder gruselige Geschichten, wenn man sie frei fantasieren lässt."

Bei Klassenbesuchen ist die Mutter allerdings fern. Auch hält die Professorin für entscheidend, wie Gewalt in Jugendtheatern inszeniert wird. "Eine Comic-Ästhetik, bei der etwa das Erschießen einer Figur klar symbolisch geschieht, gruselt Kinder zwar, doch verstehen sie in der Regel das Spielerische daran. Bei einer psycho-realistischen Darstellung wäre das natürlich anders."

Die Düsseldorfer "Peter Pan"-Inszenierung bemüht sich teils um karikierende Darstellung, lässt auf spannende Szenen zur Entlastung komische Folgen. Doch gefochten wird ausgiebig und wie real, es wird geschossen und gedroht, das Stück ist laut, ruppig im Umgangston und nicht gerade zimperlich, wenn es ans Töten geht. Und das zeigt Wirkung.

"Natürlich wollen wir unseren Zuschauern keine Angst einjagen oder sie gar vom Theater abschrecken", sagt Barbara Kantel, die künstlerische Leiterin des Düsseldorfer Jungen Schauspielhauses, "allerdings reagieren auch nicht alle Kinder so ängstlich, die Mehrheit unserer Zuschauer steigt in die Kampfszenen sportlich ein, feuert Peter Pan an, ist gefesselt von seinen Abenteuern – und das wollen wir ja erreichen." Jungendtheater stünden immer vor der Herausforderung, Stücke so zu inszenieren, dass sie für ganz junge Zuschauer nicht zu spannend, für die Älteren aber auch nicht langweilig sind. "Daran wird nach der Premiere auch immer weiter gefeilt", so Kantel, "Schauspieler reagieren auf ihr Publikum, spüren, wie weit sie gehen können, darum ist jede Vorstellung ein bisschen anders."

Dass Kinder sich im Theater so leicht gruseln, hat unter anderem damit zu tun, dass sie in einem für sie ungewohnten dunklen Saal mit fremden Menschen sitzen. Und dass auch die anderen Zuschauer reagieren. Wenn hunderte Kinder rufen, weil Peter Pan sich vor Käpten Hook in Acht nehmen soll, werden Emotionen öffentlich, das Theater entfacht seine Wirkung ganz direkt. Auch das kann für junge Einsteiger erschreckend sein.

Fraglich bleibt aber, ob das Junge Schauspielhaus recht darin tat, das Stück ab sechs Jahren freizugeben. "Erstens ist das nur eine Empfehlung", sagt Barbara Kantel, "und zweitens sind auch die meisten Märchen nicht für Kinder geschrieben worden, aber durchaus für sie geeignet, weil Märchen mit der Lust an der Angst arbeiten, am Ende aber gut ausgehen." Wenn Altersfreigaben allerdings nur empfehlenden Charakter haben, bleibt es am Ende doch Eltern und Lehrern überlassen, einzuschätzen, ob Kinder einer Aufführung, in der auch geschossen und gekämpft wird, gewachsen ist. Theaterpädagogin Hentschel empfiehlt Erziehern, Eltern, Großeltern daher, sich Stücke im Zweifelsfall erst alleine anzusehen. "Man schaut sich ja auch andere Geschenke wie Bilderbücher genau an, bevor man sie kauft", so Hentschel.

Barbara Kantel hat Eltern, die sich bei ihr beschwert haben, eingeladen, in ein anderes Stück für noch jüngere Zuschauer zu gehen. Die Mutter des Siebenjährigen, den seit Peter Pan Albträume plagen, hat diese Einladung allerdings mit gemischten Gefühlen aufgenommen. "Ich fürchte, mein Sohn hat erst einmal genug von Theater", so die Mutter.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort