100 Jahre Bauhaus Feiningers schwebende Kathedralen

Essen · Zum 100. Geburtstag des Bauhauses erinnert das Essener Museum Folkwang an dessen Meister  Lyonel Feininger. Er zeigte die Welt wie durch einen Kristall gesehen.

 Ein Höhepunkt der neuen Ausstellung im Folkwang-Museum ist das Gemälde „Gelmeroda IX“ aus dem Jahr 1926 von Lyonel Feininger.

Ein Höhepunkt der neuen Ausstellung im Folkwang-Museum ist das Gemälde „Gelmeroda IX“ aus dem Jahr 1926 von Lyonel Feininger.

Foto: Museum Folkwang/Museum Folkwang (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Lyonel Feininger verhalf einem Dorf zu Weltruhm. Denn die evangelische Kirche im Weimarer Ortsteil Gelmeroda durchzieht als Motiv alle Schaffensperioden des 1871 in New York geborenen und dort 1956 gestorbenen Malers. Die einzige von zwölf Gelmeroda-Versionen, die sich in deutschem Besitz befindet, bildet jetzt den Mittelpunkt einer kleinen, feinen Ausstellung des Essener Museums Folkwang – Auftakt eines dreiteiligen Zyklus, der an die Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren erinnert.

Gemessen an den Klischees, die auch im Jubiläumsjahr noch durch die Welt geistern, war Feininger als später Romantiker ein untypisches Mitglied dieser von außen oft auf rein konstruktive Kunst reduzierten Vereinigung. Er hat weder einen Sessel noch einen Türgriff noch gar ein Gebäude entworfen. Dennoch strahlt sein Name mindestens so hell wie derjenige von Walter Gropius, der ihn 1919 als ersten Meister ans Staatliche Bauhaus in Weimar berief. Feiningers Holzschnitt „Kathedrale“ wurde als Titelblatt des Bauhausmanifests zum Symbol für die Einheit der Künste, der sich das Bauhaus verschrieben hatte.

„Gelmeroda“, die Kirche, erstrahlt in dem Gemälde von 1926 – das wie alle 34 ausgestellten Bilder dem Essener Museum gehört – in transparenten Farbflächen. Das unscheinbare Gotteshäuschen erhebt sich darin majestätisch zum Dom, wirkt wie durch einen Kristall betrachtet und offenbart durch seine strenge, rechtwinklige Komposition zugleich Elemente des Konstruktivismus: ein Akt romantisierender Vergeistigung. Fast scheint die Kathedrale zu schweben. Links und rechts dieses zentralen Gemäldes veranschaulichen Arbeiten auf Papier, wie unter Feiningers Händen eine Dorfkirche zum erhabenen Monument werden konnte.

Auf der gegenüberliegenden Stirnseite des Raums sind vor einer wandfüllenden Fotografie von Feiningers Druckpresse in einer Vitrine vier von insgesamt zwölf Holzschnitten versammelt, mit denen das Bauhaus erstmals an die Öffentlichkeit trat, neben einem „Regentag am Strand“ ein „Zug auf der Brücke“. Die Romantiker unter den Bauhäuslern hatten stets auch die Moderne im Blick.

An der linken Seite des Raums bildet zwischen grafischen Arbeiten das Gemälde „Leuchtbake I“ (um 1913) einen Blickfang, auch dies ein prismatisches Gebilde, das spürbar vom Kubismus beeinflusst ist. Grafik von Segelschiffen belegen Feiningers Vorliebe für ein weiteres romantisches Motiv. Eine winzige dreidimensionale Spielzeugstadt aus bemaltem Holz, hohe, schräge, dicht beieinanderstehende Häuser wie aus dem Mittelalter, setzen einen unerwartet spielerischen Akzent.

Im ersten der beiden Ausstellungsräume lohnt ein Blick auf Feiningers frühes Blatt „Die grüne Brücke“ mit seinen karikaturhaften Gestalten. Unverkennbar hallt darin die Zeit nach, als er noch nicht Künstler war, sondern als Karikaturist für deutsche, französische und US-amerikanische Zeitungen und Zeitschriften arbeitete. Und das Gemälde „Dorf Alt-Sallenthin“ (um 1912) zeugt mit seinen gestaffelten Häusern auf Usedom davon, dass Feininger sich schon früh für Architektur begeisterte – „früh“ bezogen auf seine Tätigkeit als Künstler. Denn erst mit 36 Jahren war er zur Malerei gestoßen.

So ersteht in den beiden Räumen eine stille Welt, die von ihrer späteren Bedrohung noch nichts ahnen lässt. 1933 setzten die Nationalsozialisten dem Bauhaus ein Ende, vier Jahre später verließ das Ehepaar Feininger Deutschland in Richtung USA. Die Zeiten, da er so gern mit seinem Fahrrad die Insel Usedom erkundet hatte, waren für immer vorbei. Doch auch in New York malte er nicht nur Wolkenkratzer, sondern nach wie vor die Motive aus der zweiten Heimat jenseits des Atlantiks.

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