Neuer Film von Damien Chazelle Hollywood Babylon

Grelle Bilder und 80 Millionen Produktionskosten: Mit „Babylon“ nähert sich Regisseur Damien Chazelle nach „La La Land“ noch einmal der Traumfabrik. Dieses Mal jedoch auf entgegengesetzte Weise.

 Szene mit Margot Robbie aus „Babylon“.

Szene mit Margot Robbie aus „Babylon“.

Foto: AP/Scott Garfield

Wie eine Kathedrale ragt die prachtvolle Partylocation aus der tristen Wüstenlandschaft. Drinnen im Saal tobt das Leben in seiner exzessivsten Form. Hunderte feiern zu den wilden Klängen einer Jazz-Band. Ekstatische Tänze. Nackte Körper. Sexualpraktiken aller Art. Champagner in Strömen. Kokain kiloweise auf Tabletts angehäuft. Und schließlich ein Elefant, der durch das Haupttor in den Saal stürmt.

Gleich zu Beginn katapultiert Damien Chazelle in seinem neuen Film „Babylon“ das Publikum in eine Welt dekadenter Ekstase. In langen Kamerafahrten wird ein Wimmelbild des Hedonismus in Szene gesetzt. Man schreibt das Jahr 1926 in den damals noch spärlich besiedelten Hollywood Hills. Der Stummfilm feiert seine großen Erfolge, und die amerikanische Filmindustrie, die in Kalifornien buchstäblich aus dem Nichts aufgebaut wurde, boomt wie nie zuvor.

Drei Figuren führt Chazelle auf dem Spielplatz der Orgie zusammen. Manny Torres (Diego Calva), Sohn mexikanischer Einwanderer, träumt davon, beim Film zu arbeiten, und verdingt sich derweil als Mann für alle Fälle im Partytempel. Ob es darum geht, in einer grotesken Eröffnungssequenz einen Elefanten auf einem klapprigen Lastwagen zu transportieren, die an einer Überdosis verstorbene Festteilnehmerin diskret zu entsorgen oder sturzbetrunkene Filmstars nach Hause zu geleiten – der junge Mann beweist sich stets als erfindungsreicher Krisenmanager, und diese Kernkompetenz ist im Filmgeschäft immer gefragt. „Ich wollte immer Teil von etwas Größerem sein, von etwas Bedeutsamen, von etwas, das bleibt“ gesteht er Nellie LeRoy (Margot Robbie) bei einer Prise Koks.

Die junge Frau ist von New Jersey nach Kalifornien gekommen und schmuggelt sich in knallroter Minimalbekleidung auf die Party. „Du wirst nicht zum Star. Entweder du bist ein Star oder nicht“ lautet ihr Kampfmotto, mit dem sie auf der Tanzfläche alle Blicke auf sich zieht. Jack Konrad (Brad Pitt) ist alles, wovon Nellie noch träumt. Der Leinwandgott residiert in einer Villa und heiratet eine Frau nach der anderen. „Warst du schon einmal auf einem Filmset? Es ist der magischste Ort der Welt“, sagt er zu Manny.

Davon kann sich auch das Publikum in der nächsten halben Stunde überzeugen. Mitten in der kalifornischen Steppenlandschaft sind mehrere provisorische Filmsets aufgebaut, in denen die verschiedensten Produktionen gleichzeitig gedreht werden. Während sich in der Senke Hunderte Statisten zunächst zu einem Streik und wenig später zu einer mittelalterlichen Schlacht versammeln, wird nebenan in einem improvisierten Bretterverschlag eine intime Bar-Szene gedreht, in der sich Nellie zum ersten Mal vor der Kamera beweisen muss. Sie beeindruckt ihre Regisseurin mit der Fähigkeit, Tränen auf Abruf in genau dosierter Anzahl produzieren zu können. Dass keine zehn Meter weiter zahllose Männer in Rüstungen mit Schwertern aufeinander losgehen, stört hier niemanden. Die kakofone Geräuschkulisse spielt bei den Aufnahmen eines Stummfilms keine Rolle.

Nebenan auf dem Monumentalset ist gerade die Kamera ausgefallen. Mit einem geklauten Krankenwagen schafft Manny es gerade noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang für die malerische Kuss-Szene vor Schlachtfeldkulisse. Dass Hauptdarsteller Jack es besoffen kaum auf die Anhöhe geschafft hat, ist egal, solange sein schönes Profil im Abendlicht einen magischen Kinomoment generiert. Das alles ändert sich, als ein Jahr später mit „The Jazz Singer“ der Tonfilm Einzug in die Lichtspielhäuser hält. Gedreht wird nun in schallisolierten Studios, wo kein Platz mehr ist für anarchistische Improvisation. Die Schauspieler müssen nicht nur lange Dialoge fehlerfrei sprechen, sondern auch genau auf der Markierung unter dem Mikrofon stehen, um die Tonqualität nicht zu gefährden. Es ist nicht nur das Ende der Spontaneität auf dem Set, sondern auch das allmähliche Ende gefeierter Stars wie Jack und Nellie, deren visuelles Charisma im neuen Format nicht mehr ausreicht.

Als „Hassbrief an Hollywood und eine Liebeserklärung an das Kino“ hat Damien Chazelle seinen neuen Film bezeichnet. Und damit ist „Babylon“ das notwendige Gegengift zu Chazelles Erfolgsfilm „La La Land“ (2016), der im Musical-Format den Mythos Hollywood mehr fütterte als hinterfragte. In seinem dreistündigen Kinoepos legt der Ausnahmeregisseur nun Licht- und Schattenseiten des Filmgeschäfts kontrastreich und hochdynamisch nebeneinander.

Als cineastische Tour de Force, opulenter Bilderrausch und abgedrehte Farce mit zahllosen filmhistorischen Verweisen zeichnet „Babylon“ ein facettenreiches Höllengemälde Hollywoods. Die Traumfabrik ist hier ein gieriges Monster, das seine Opfer ins beste Licht setzt und auf Celluloid verewigt, bevor es sie verschlingt – und dennoch immer wieder Momente magischer Schönheit erschafft, die ein Millionenpublikum berühren. Der Treibstoff ist dabei die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, für die die Beteiligten im irdischen Berufsleben oft einen hohen Preis bezahlen.

Ungewöhnlich hoch war mit 80 Millionen Dollar auch das Budget des Filmes. Investitionen in solcher Höhe fließen eigentlich nur noch in erfolgssichere Comicverfilmungen. In der heutigen Filmlandschaft ist „Babylon“, der von der Liebe zum Kino mit maximaler Ambivalenz und verschwenderischem Verve erzählt, ein vollkommener Anachronismus. Und gerade deshalb muss man diesen irren Film einfach lieben.

„Babylon - Rausch der Ekstase“, USA 2022 – Regie: Damien Chazelle; mit Margot Robbie, Diego Calva, Brad Pitt, Jean Smart, Jovan Adepo; 188 Minuten

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