Interview Katrin Seddig Vorwürfe gegen Polizei unabhängig aufklären

Hamburg · Die Autorin hat einen Gesellschaftsroman über den Polizeieinsatz beim G20-Gipfel in Hamburg geschrieben. Polizisten müssten viel wegstecken, sagt Seddig. Doch dürften sie sich nicht über das Gesetz stellen.

 Die Schriftstellerin Katrin Seddig aus Hamburg.

Die Schriftstellerin Katrin Seddig aus Hamburg.

Foto: Bruno Seddig

In „Sicherheitszone“ erzählt die Hamburger Autorin Katrin Seddig von einer Familie die in den Strudel der Proteste gegen den G20 Gipfel 2017 in Hamburg gerissen wird. Im Zentrum steht das Geschwisterpaar Imke und Alexander. Das Mädchen gehört zu einer Clique linker Jugendlicher, die sich radikalisiert. Der Bruder ist Polizist, bereitet sich auf den G20-Einsatz vor und weiß, dass er dort seiner Schwester gegenüberstehen könnte.

Wie haben Sie für die Figur des jungen Polizisten in Ihrem Roman recherchiert?

Seddig Ich kenne einen jungen Polizeianwärter persönlich. Aus Gesprächen mit ihm konnte ich schöpfen, warum ein junger Mensch Polizist werden will. Dazu habe ich einen älteren Polizisten interviewt. Dem ging eine schwierige Suche voraus. Mehrere Gesprächspartner sind kurz vor dem Termin abgesprungen. Ich habe auch in der Berichterstattung zu G20 in Hamburg keine Interviews mit Polizisten gefunden. Wie sie sich während solcher Einsätze fühlen, erfährt die Öffentlichkeit nicht.

Dann füllen Sie mit einer fiktiven Figur also eine Leerstelle in der öffentlichen Diskussion.

Seddig Ja. Ich habe noch ein paar Blog-Einträge von Polizisten gefunden und Kommentare zu Berichten im Internet. Das habe ich in die Figur einfließen lassen. Aber eigentlich war es auch nicht so schwer, sich auszudenken, wie jemand sich fühlt, der jung ist, zur Polizei geht und dann bei einem Großeinsatz die ganze Zeit beschimpft wird. Kann man sich vorstellen, wie sich das anfühlt.

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung am Beruf des Polizisten?

Seddig Ich denke, dass es für Beamte wirklich schwierig ist, mit ihren eigenen Gefühlen fertig zu werden. Das hängt natürlich auch von ihrem Einsatzort ab. Demos, Fußballspiele oder Ausschreitungen gehören sicher zu den unangenehmsten Aufgaben. Für den Beruf des Polizisten muss man moralisch gefestigt sein. Man muss es schaffen, Gefühle, die man im Einsatz hat, hintanzustellen. Für junge Männer mit viel Testosteron ist das sicher sehr schwierig, darauf müsste die Ausbildung eingehen.

Kürzlich sind rassistische Chats bei einer Dienstgruppe der Berliner Polizei aufgeflogen. Auch über Polizeigewalt bei Festnahmen wurde viel diskutiert. Ändert sich gerade das Verhältnis der Deutschen zur Staatsmacht?

Seddig Ich denke schon. Vieles hängt von persönlichen Erfahrungen ab. Bürger, die politisch aktiv sind, haben mehr mit Polizei zu tun und sind auch von Repressionen betroffen. Wer sich ins Private zurückzieht, hat ein ganz anderes Bild. Und Migranten, noch dazu, wenn sie etwa dunkle Haut haben, machen wieder andere Erfahrungen. Man kann sich leichttun und sagen: Ich hab keine schlechten Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Wenn Du welche machst, muss das ja an Dir liegen. Auf dieses Muster trifft man immer wieder: Menschen, die Missstände bei der Polizei leugnen, sprechen von Provokation, wenn doch Fälle öffentlich werden. Dagegen lässt sich schwer anreden. Die aktuellen Fälle rechtsextremer Chatgruppen zeigen aber auf jeden Fall, dass es entsprechende Tendenzen gibt. Einzelfälle sind das nicht mehr.

Wie kann die Entfremdung zwischen Polizei und Bürgern aufgehalten werden?

Seddig Ich finde erst mal gut, dass die Fälle ans Licht kommen, und wir darüber sprechen. Der entscheidende Schritt wäre eine unabhängige Stelle, die solche Vorwürfe aufklärt. Das kann die Polizei nicht in ihren eigenen Reihen regeln. Gegen die eigenen Kollegen zu ermitteln, funktioniert nicht. Außerdem sollten wir als Gesellschaft uns wohl fragen, warum es diese rechtsextremen Tendenzen gibt. Spiegelt das die Zunahme solchen Denkens in der Gesellschaft insgesamt? Zieht es Menschen mit diesem Gedankengut besonders zur Polizei und wie könnte man das dann ändern?

Haben Sie Rückmeldung von Polizisten zu ihrem Roman bekommen?

Seddig Nein. Ich habe ja auch keine negative Polizistenfigur erfunden, sondern einen, der mit den Schwierigkeiten seines Jobs ringt. Es gibt ja auch anständige Polizisten, die durchaus auch mal linke politische Ansichten vertreten. Ich würde niemals pauschal über die gesamte Polizei urteilen.

Wieso haben Sie die G20-Proteste in Hamburg vom Juli 2017 ins Zentrum Ihres neuen Romans gestellt?

Seddig Ich wollte ein aktuelles Bild unserer Gesellschaft zeichnen. Für viele Menschen in Hamburg war dieser Gipfel ein einschneidendes Ereignis. Ein Trauma. Die Diskussionen darum reichten tief in die privaten Kreise hinein. Ich habe die Proteste miterlebt und habe ungeheuer vielfältige Eindrücke gewonnen. Die stehen für vieles, was wir auch jetzt noch in der Gesellschaft erleben: Wie unterschiedlich bestimmte Gruppen denken, wie schwer es ist, Interessen zusammenzubringen und miteinander zu sprechen. Bei der Auflösung der „Welcome to hell“-Demo in Hamburg habe ich miterlebt, wie Polizisten mit Knüppeln auf ungeschützte Menschen einschlugen. Diese Erfahrung haben auch Jugendliche gemacht. Das radikalisiert natürlich. Da waren Jugendliche dabei, die vorher nie gedacht hätten, dass so etwas passiert, nur weil man irgendwo ist. Diesen Einsatz sehen auch manche Polizisten kritisch. Andererseits gab es viele euphorische Momente, friedlichen Protest, gute Stimmung, 70.000 Menschen auf der Straße, ohne dass etwas passiert ist.

Die Familie im Zentrum ihre Romans bricht am Ende auseinander.

Seddig Das schlimmste an meiner Geschichte ist die Unversöhnlichkeit zwischen den Geschwisterfiguren. Das ist die Unversöhnlichkeit zwischen den Positionen: Ich gehe zur Polizei und: Ich engagiere mich politisch links. Die Geschwister können nicht mehr zusammenfinden. Ich denke, es wird immer kritisch, wenn Polizisten, weil sie die Staatsmacht vertreten, glauben, über den Regeln zu stehen.

Wie kann die deutsche Gesellschaft verhindern, in diese Falle der Unversöhnlichkeit zu gehen?

Seddig Wenn ich auf Menschen treffe, die eine sehr andere Haltung haben, stelle ich mir immer vor, sie seien bei einem Familientreffen der Onkel. Dann ist man ja bis zu einem gewissen Grade großzügig und empfindet nicht gleich Hass. Bei Gewalt, auch indirekter, struktureller Gewalt endet diese Toleranz. Aber wir müssen versuchen, im Gespräch zu bleiben. Und ich denke, Kultur, egal in welcher Sparte, trägt dazu bei, dass wir im Gespräch bleiben und Verständnis üben. In der Kunst können Schwierigkeiten verdaut werden. Darum ist es schlimm, dass da nun wegen Corona so viel brachliegt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort