Dinçer Güçyeter appelliert an die Jugend: Macht was aus eurem Talent Erste Texte auf dem Bierdeckel notiert

Düsseldorf · Für seinen Roman „Unser Deutschlandmärchen“ wurde Dinçer Güçyeter gerade mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet. Bei den Düsseldorfer Literaturtagen war der Autor zu Gast im Heine-Institut und fand deutliche Worte für einen allzu elitären Literaturbetrieb.

Der Schriftsteller Dinçer Güçyeter mit seinem viel gelobten Romandebüt „Unser Deutschlandmärchen“.

Der Schriftsteller Dinçer Güçyeter mit seinem viel gelobten Romandebüt „Unser Deutschlandmärchen“.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

„Im Maschinenbau habe ich gelernt, es gibt immer eine Lösung“, gab sich Dinçer Güçyeter am Donnerstagabend im Heinrich-Heine-Institut zuversichtlich. Der Autor und Verleger las dort bei den Düsseldorfer Literaturtagen, im Gepäck sein unlängst mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten Roman „Unser Deutschlandmärchen“. Darin erzählt Güçyeter die Geschichte seiner Eltern, die Mitte der 1960er Jahre als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen, genauer nach Nettetal.

Im Buch nimmt der Sohn die Perspektive seiner Mutter Fatma ein. Eine starke Frau und Persönlichkeit, die hart dafür arbeitet, dass ihre Familie in diesem für sie fremden Land ein Auskommen hat. Der Vater betreibt eine Kneipe und ein Bordell. „In der Kneipe lief rund um die Uhr Musik“, erinnerte sich Dinçer Güçyeter im Gespräch mit der Journalistin Najima El Moussaoui in der voll besetzten Bibliothek des Heine-Instituts. Jeden Freitag kam „der Kassettenmann“ und brachte Nachschub. „Ich durfte mir immer fünf Musikkassetten aussuchen und dachte, was für großartige Texte diese Lieder hatten“. Texte, wie der damals 12-jährige herausfand, „gestandene Männer zum weinen bringen konnten“. Solche Lieder wollte er auch schreiben und entwickelte erste Ideen auf Bierdeckeln, die Fingerübungen für seine spätere Lyrik werden sollten.

Neben der orientalischen Poesie begeisterte sich das junge Talent bald auch für Hölderlin, Rilke und Lasker-Schüler. Die Herausforderung sei für ihn gewesen, „diese beiden Welten miteinander zu vereinen und daraus etwas eigenes zu machen“. Doch „erst mit Mitte 30 habe ich meine Stimme gefunden“, so der 44-jährige. Klar war für ihn, dass er auf Deutsch schreiben würde. Deshalb findet er Journalistenfragen wie die, ob Deutschland seine zweite Heimat sei „dilettantisch. Ich bin schließlich hier geboren“. Die Kinder der ersten Gastarbeiter hätten „schon dolmetschen müssen, bevor wir selbst den ersten Satz aussprechen konnten“, witzelte Dinçer Güçyeter und ergänzte: „Wir wurden von unseren Eltern herumgetragen, wie eine Aldi-Tüte.“ Das habe ihm später im Literaturbetrieb sehr geholfen, denn es „hat mich dreist und schamlos gemacht“.

Zu eben diesem Literaturbetrieb hat Güçyeter, der seit 2012 auch Verleger ist, ein ambivalentes Verhältnis. Den ausgebildeten Werkzeugmechaniker, der bis heute „in Teilzeit Gabelstapler fährt“, ärgerte von Anfang an, dass „man offenbar aus einer Akademikerfamilie kommen muss, um ernstgenommen zu werden“. Dies sei auch einer der Gründe gewesen, warum er Herausgeber und Verleger geworden sei. „Mich interessiert die Herkunft nicht, sondern das, was jemand zu sagen hat“, stellte Dinçer Güçyeter klar. Die Autoren, die er ins Programm nehme, suche er allein danach aus, ob sie schreiben könnten. So gab er unter anderem Özlem Özgül Dündar eine Chance, die mit ihrem Debüt nach Klagenfurt zu den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ eingeladen und mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet wurde. Dündar eröffnete in diesem Jahr auch die Düsseldorfer Literaturtage mit ihrem Text „Türken! Feuer!“ zum 30. Jahrestag des rassistisch motivierten Anschlags in Solingen.

Zum Abschluss seiner Lesung hatte Dinçer Güçyeter noch einen Appell an die junge Generation: „Macht etwas aus eurem Talent. Es wird vielleicht nicht leicht, aber es lohnt sich dranzubleiben.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort