Ausstellung im Museum Folkwang Helen Frankenthaler hält Farbe in Bewegung
Essen · Die amerikanische Künstlerin wird im Essener Folkwang-Museum mit einer Ausstellung geehrt. Jeder Raum präsentiert ein Jahrzehnt ihres Schaffens.

Helen Frankenthaler 1974 in ihrem Studio in New York. Foto: Alexander Liberman Archive/Getty Research Institute/J. Paul Getty Trust/Helen Frankenthaler Foundation/VG Bild- Kunst, Bonn 2023
Foto: MUseum Folkwang/Foto: Alexander Liberman Alexander Liberman photography archive; Getty Research Institute, Los Angeles Photograph © J. Paul Getty Trust. Artwork © Helen Frankenthaler Foundation / VG Bild- Kunst, Bonn 2023Es ist immer ein bisschen wohlfeil, wenn es heißt, einen bestimmten Film müsse man unbedingt im Kino sehen und keinesfalls als Stream oder auf DVD. Und eine bestimmte Band solle man doch bitte im Konzert erleben und nicht auf Youtube. Bei dieser Ausstellung ist es nun aber wirklich so: Die Schönheit der Bilder von Helen Frankenthaler begreift nur, wer vor ihnen steht und gewissermaßen darin abtaucht. Reproduktionen oder der ansonsten großartige Katalog zur Schau vermitteln nicht den Hauch einer Ahnung davon, was in den Räumen des Folkwang-Museums zu erleben ist.
„Malerische Konstellationen“ heißt die Überblicksausstellung in Essen, die 75 Arbeiten auf Papier und eine Handvoll Gemälde der 1928 geborenen und 2011 gestorbenen Amerikanerin versammelt. In Europa ist der Name Helen Frankenthaler erst in den vergangenen Jahren einem größeren Publikum zum Begriff geworden. Sie gehört zu den Innovatorinnen der Kunstgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihre frühesten Arbeiten zwinkern noch Kubismus und Surrealismus zu. „Great Meadows“ aus dem Jahr 1951 wirkt dann wie eine Explosion. Frankenthaler hatte zwei Ausstellungen mit Werken von Jackson Pollock gesehen. Dessen Art, die Farbe auf die am Boden liegende Leinwand zu „drippen“, zu tröpfeln also, erweiterte sie mit einigem Mut zu einem eigenen Gestus.
Frankenthaler erfand das „soak staining“ und gilt als Pionierin der Farbfeldmalerei: Sie gab verdünnte Farbe auf die ungrundierte Leinwand, sie tränkte die Fläche mit Farbe und bearbeitete sie dann mit Schwämmen, enorm breiten Pinseln, mit der Hand oder Schabern aus Holz. Viele ihrer Werke haben dadurch eine aquarellierte Anmutung. Und tatsächlich ergeben sich gerade bei Ansicht einiger Arbeiten aus den 1960er-Jahren romantische Assoziationen, die vielleicht auch dem großen Vorbild William Turner geschuldet sind. Man merkt aber rasch, dass Frankenthaler kein bisschen rückwärtsgewandt oder traditionell arbeitete. Und dass ihre Werke nicht vage sind oder ungefähr, sondern kalkuliert und bewusst ins Offene drängen. Manchmal meint man gar, die Farbe greife über die Leinwand hinaus.
1951 stellte die New Yorker Avantgarde in der legendären „9th Street Art Exhibition“ aus. Neben Frankenthaler waren Lee Krasner und Joan Mitchell beteiligt, die oft als „Ninth Street Women“ zu einer Gruppe verbunden werden. Diese Frauen bildeten einen Gegenpol zur arg männerdominierten Szene. Krasner und Frankenthaler waren die ersten Frauen, denen Einzelausstellungen im Moma gewidmet wurden. Und wie breitbeinig es zugegangen ist, zeigt die Episode mit Frankenthalers Lebensgefährten, dem Kunstkritiker Clement Greenberg. Der führte die Maler Morris Louis und Kenneth Noland durch Frankenthalers Atelier. Sie konnten dort sehen, wie die Kollegen zu ihren Ergebnissen kam, und sie eigneten sich diese Strategie an und gaben sie als ihre aus.
Die von Nadine Engel kuratierte Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Jeder Raum präsentiert ein anderes Jahrzehnt, und jedes Jahrzehnt bringt neue Wendungen und Wandlungen im Werk von Helen Frankenthaler. Man meint, das Leichte und Heitere zugunsten von Erhabenheit und Ernst schwinden zu sehen. Die Farben dunkeln ein, in „Port Of Call“ von 2002 verglimmt ein fluoreszierender Farbfaden am Horizont über einem Meer aus dreierlei Düsternis.
Wer vor den Bildern steht, sieht, wie die Farben verlaufen. Man spürt ihre Dynamik, ihren Drang zur Bewegung. Das Papier ist meist nicht glatt, sondern erhaben, rau und grob. Es ist, als sickere die Farbe ins Blickfeld, ein wunderbarer Effekt. Und er ergibt sich nur vor Ort.
Info Helen Frankenthaler: „Malerische Konstellationen“, Museum Folkwang, bis zum 5. März zu sehen.