„Total surreal“ in Remagen Dalí trifft Arp in Rolandseck

Remagen-Rolandseck · Unter dem Motto „Total surreal“ spürt das Arp-Museum Remagen noch bis zum 16. August dem Surrealismus in Gegenwart und Vergangenheit nach.

 Das „Hummertelefon“ von Salvador Dalí  aus dem Jahr 1938.

Das „Hummertelefon“ von Salvador Dalí  aus dem Jahr 1938.

Foto: Alamy Stock Photo/Malcolm Park editorial / Alamy S

Das Arp-Museum will niemanden enttäuschen. Deshalb bietet es seit je lieber etwas zu viel als zu wenig. Schließlich sollen diejenigen, die sich ins abseitige Rolandseck aufmachen, am Ende sagen: Zwei von drei Ausstellungen haben uns sehr angesprochen, schon allein die Architektur von Richard Meier war den Besuch wert, und dann haben wir noch mit der Fähre den Rhein überquert und im Siebengebirge einen Latte Macchiato getrunken. Am Ende sind wir von diesem Museum mit Gleisanschluss hochzufrieden und ohne Staugefahr in Richtung Heimat zurückgerattert.

So soll es sein, und so wird es auch diesmal sein. Das „Arp Museum Bahnhof Rolandseck“ hat soeben ein Jahr des Surrealismus ausgerufen und die ersten Ausstellungen eröffnet. In Richard Meiers Landmarke, dem hinter dem Bahnhof aufragenden weißen Turm mit Rheinblick-Balkon, findet sich auf einer der beiden Ausstellungsebenen das Kernstück von „Total surreal“, eine überraschende Schau mit dem Titel „Salvador Dalí und Hans Arp. Die Geburt der Erinnerung“.

Die Kunstwissenschaft verbucht beide Künstler als Surrealisten, doch der plakative Dalí (1904-1989) mit seinen ausgemalten Träumen und der reine Formenkomponist Arp (1886-1966) haben zunächst wenig gemein – bis man in der Ausstellung erlebt, wie viel sich Dalí von Arp abgeschaut hat. Schon als sie 1929 einander in Paris erstmals begegneten und Dalí dem Kreis der Surrealisten beitrat, wusste er über Arps Schaffen Bescheid. Arp hatte zu diesem Zeitpunkt seine dadaistische Phase bereits hinter sich und entwarf naturnahe gerundete Formen. Dalí setzte an zum großen Wurf seiner Traumbilder, die sich im kollektiven Gedächtnis der Menschheit festgehakt haben. Der Weg dorthin aber führte durch ähnlich biomorphe, an Menschen, Tiere und Pflanzen erinnernde Szenerien, wie man sie von Arp kennt.

„Lassen wir Picasso beiseite. Wir werden lernen müssen, uns besser mit Arp zu verstehen“, das hatte Dalí bereits 1928 erkannt. Wie er das anstellte, lässt sich im Vergleich zwischen seinem Ölgemälde „Einweihungsgänsehaut“ aus jenem Jahr und plastischen und Papierarbeiten von Arp ungefähr aus derselben Zeit beobachten. Fliegende Formen, die an Kaulquappen denken lassen, scheinen unmittelbar aus ungegenständlichen Papierarbeiten und Reliefs von Arp herübergewandert zu sein. Auch Dalís „Spektralkuh“ lebt aus Arpschen Konturen. In solchen frühen Werken gibt sich ein kaum bekannter Dalí zu erkennen, einer, der noch auf der Suche war.

Wie der Schüler zum absichtslosen Lehrer surrealistischer Jünger wurde, davon zeugen einige seiner markantesten Werke aus den 30er und 40er Jahren: das „Hummertelefon“ zum Beispiel, die beiden sich auf einen weiblichen Akt stürzenden Löwen („Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen“) und „Die Metamorphose des Narziss“, übergroße menschliche Gliedmaßen, die wie Bäume aus einer Landschaft wachsen.

Der großformatige „Traum der Venus“ mit seinen zerfließenden Uhren, aus dem Hiroshima Prefectural Art Museum eigens nach Remagen geholt, bildet den Mittelpunkt eines Kabinetts, das sich an den gleichnamigen, von Dalí für die Weltausstellung New York 1939 entworfenen Pavillon anlehnt. So erlebt man eines der ersten Environments der Kunstgeschichte, samt Originalton, der dafür restauriert wurde.

Da das Beethoven-Jahr begonnen hat und Dalí auch dazu etwas beizutragen hat, umfasst die Ausstellung in einem Sonderkabinett zusätzlich seine Tuschezeichnung „Beethovens Schädel“ von 1942, eine Art riesiger, energiegeladener Wirbelwind, der erneuernd über eine Landschaft bläst.

Vom Balkon des Museums hoch über dem Rhein lässt sich ein zweites Wunder beobachten. Wer durch ein Fernrohr schaut, das Studenten der Hochschule Mainz, Fachbereich Mediendesign, dort aufgestellt haben, entdeckt am anderen Ufer des Stroms links Dalís Löwen, während zur Rechten seine Elefanten durchs Siebengebirge trampeln. Ein netter Gag, wenn auch kein Einfall des Meisters selbst. Im Altbau der Museums, also im musealen Teil des Bahnhofsgebäudes, erwartet die Besucher eine Schau des Porträt- und Modefotografen Philippe Halsman: Einblicke in die surreale Welt des passionierten Schnurrbartträgers.

Wer danach noch immer Hunger auf Bilder hat, der mag im Meier-Bau an einem Beispiel verfolgen, wie Künstler bis heute von Dalí zehren und der Surrealismus kein Ende nimmt. Der Berliner Maler Jonas Burgert zeigt dort wandfüllende Gemälde zerlumpter Menschen in alptraumhafter Umgebung, dazu Skulpturen, die einzelne Gestalten aus den Bildern zu verkörpern scheinen. Schon der Wiener Phantastische Realismus der 1950er Jahre war ein Aufguss des Surrealismus. Jetzt sucht Burgert noch einmal aus Dalí Kapital zu schlagen.

Mit sechsstelligen Preisen bei Auktionen gelingt ihm das zumindest finanziell.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort