Wittenberg Auf Luthers Spuren durch Wittenberg

Wittenberg · Die evangelischen Christen werden im Jahr 2017 das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation feiern. Schon jetzt strömen Touristen ins heutige "Rom der Protestanten", in dem Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche schlug.

Das meistfotografierte Motiv der 50 000 Einwohner zählenden Stadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt ist die Schlosskirche. An ihre Tür schlug Martin Luther (1483–1546) der Überlieferung zufolge seine 95 Thesen, in denen er gegen die Ablasspraxis der römisch-katholischen Kirche zu Felde zog – heute sind sie in Bronze gegossen. Im Inneren der Kirche liegen Luther und sein Freund und Mitstreiter Philipp Melanchthon begraben.

Sosehr die Touristen die am Rande der überschaubaren Innenstadt gelegene Schlosskirche auch mögen – den natürlichen Mittelpunkt der Luther-Verehrung bildet die Pfarrkirche St. Marien in der Nähe des Marktes: die Mutterkirche der Reformation. Dort hielt Luther seine Predigten, dort führten Justus Jonas der Ältere und Andreas Bodenstein von Karlstadt 1521 den evangelischen Gottesdienst ein. Und dort befindet sich auch der Reformationsaltar, gestaltet von Lucas Cranach dem Älteren und dessen Sohn.

Lucas Cranach – sein Name geht auf das fränkische Städtchen Kronach zurück, aus dem er stammte – war mit Luther befreundet, wurde sein bedeutendster Porträtist und verbildlichte in jenem großartigen Reformationsaltar Luthers neue Auffassung des Christentums. Die zentrale Tafel stellt das Abendmahl dar, die Tafeln links und rechts, Cranachs Sohn zugeschrieben, erzählen von Taufe und Beichte.

Das waren die drei Sakramente, die Luther gelten ließ, bevor er die Beichte aus diesem Kreis dann doch noch ausschloss. Als Sakrament verstand er eine von Christus selbst eingesetzte Handlung, die mit einem sichtbaren Zeichen wie Wasser, Brot und Wein verbunden ist. Dagegen ersetzte er die Sakramente Firmung, Ehe, Priesterweihe und letzte Ölung durch Konfirmation, kirchliche Eheschließung, Ordination und letztes Abendmahl und wies ihnen lediglich den Rang kirchlicher Segnungen zu. Unterhalb der drei Altar-Bilder ist Luther selbst verewigt – als Prediger, der von der Kanzel seine Hörerschaft im Blick hält, darunter seine Ehefrau Katharina mit Söhnchen Johannes.

Luther, Katharina, Melanchthon, Karlstadt und die beiden Cranachs – ihnen begegnet man beim Streifzug durch Wittenbergs Fußgängerzone auf Schritt und Tritt, am nachhaltigsten in den Museen. Während das Melanchthon-Haus zurzeit noch erweitert wird und erst im Laufe dieses Jahres wieder Gäste empfängt, steht das Lutherhaus den Besuchern offen. Es enthält nicht nur ein Museum zur Geschichte der Reformation, sondern umschließt auch das einstige Wohnhaus Martin Luthers.

Man kann sich gut vorstellen, wie Katharina von Bora dort ihr Regiment führte, wie sie der großen Familie Einkünfte bescherte, indem sie an Schüler des Predigerseminars Wohnraum vermietete, sie bekochte und ihrem Mann den Rücken freihielt für sein großes Projekt: die Erneuerung der katholischen Kirche.

Das Jahr 2017, in dem die Reformation 500 Jahre alt wird, bietet erneut Gelegenheit, darüber nachzudenken, worin Luthers Verdienste und worin seine Fehler bestehen, und es ist keine Kunst, vorherzusagen, dass sich in den Jubel auch wieder Streit mischt. Konfessionsübergreifend unbestritten ist die sprachschöpferische Bedeutung seiner Übersetzung des Alten und des Neuen Testaments. Luther schaute dem Volk aufs Maul und brachte ihm die Bibel so nah wie kein Deutschsprachiger zuvor. Doch dann scheiden sich die Geister: Den einen gilt Luther als Vater der Moderne, der das Joch der Autokratie abgeschüttelt habe, den anderen lediglich als Fürstenknecht. 1917 wurde Luther als Heros der Deutschen beschworen, drei Jahrzehnte später als Verkörperung teutonischen Ungeists und Vorläufer Hitlers verfemt.

Wenn Luther auch ausdrücklich die Kirche nicht spalten wollte, gilt er heute doch vielen als Abtrünniger. Und die Rechtfertigungslehre ist ein Stein, an dem bislang alle Ökumene scheitert. Luther bestand darauf, dass der Mensch allein schon durch seinen Glauben an Gott gerecht werde; die Katholiken vertreten dagegen die Auffassung, dass der Mensch nur durch gute Taten ins Himmelreich gelange.

Und dann gibt es jene geballte Kritik an Luther, der sich wohl oder übel auch evangelische Christen anschließen müssen: die Kritik an seinem Hass auf Juden, an seiner Bejahung der Niederschlagung des Bauernaufstands und an seiner Haltung gegenüber Frauen. Margot Käßmann, die Luther-Botschafterin der evangelischen Kirche mit Blick auf das Reformationsjubiläum, nennt Luther in einem Aufsatz des evangelischen Magazins Zeitzeichen "Trotz allem ein Vorbild". Dabei baut sie auf Luthers Entschlossenheit, "gegen den Mainstream anzutreten, kritische Fragen zu stellen und unbequem zu argumentieren".

Im Umkreis der Lutherstadt Wittenberg, die 2017 zu einem noch nicht näher bezeichneten Großereignis einladen will, werden solche Worte kaum mehr als Gleichgültigkeit hervorrufen. Denn im "Rom der Protestanten" leben nur 4000 evangelische Christen. Und wenn auch die meisten Touristen aus Mitteldeutschland zu kommen scheinen, so gilt deren Interesse offenkundig doch weniger dem Kirchenmann Luther als dem berühmten Deutschen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) aber ist offenbar gewillt, Wittenberg zu ihrem geistlichen Mittelpunkt zu erheben. Nicht nur Luther-Botschafterin Käßmann, auch Präses Nikolaus Schneider ist dort regelmäßig zu Gast, und es wird reichlich getagt. Zudem investiert die Kirche gemeinsam mit Bund und Land Sachsen-Anhalt kräftig in Renovierungen ihrer historischen Gebäude. So bemühen sich alle, zum Luther-Jahr die Wiege der Reformation wieder in Schwung zu bringen.

Den Kirchentag des Jubiläumsjahrs, gleichzeitig Abschluss und Höhepunkt der "Luther-Dekade", lässt die evangelische Kirche allerdings doch lieber in Berlin stattfinden. Die Hauptstadt hat es noch nötiger als Wittenberg.

(RP)
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