Auf Glaubenssuche

Paulo Coelho ist mit seinen spirituellen Romanen einer der meistgelesenen Schriftsteller der Welt – verspottet von den Kritikern, geliebt von seinen Lesern. Jetzt ist bei uns ein neues Buch mit vielen kleinen und großen Weisheiten erschienen: "Die Schriften von Accra".

Wer mag, kann jetzt die Weisheiten und Sinnsprüche von Paulo Coelho in alle Welt verschicken. Sein Verlag hat nämlich eine Postkarten-Serie herausgegeben – pünktlich zum neuen Roman, "Die Schriften von Accra", mit Zitaten aus seinem neuen Roman. "Erfolg bedeutet, sein Leben zu bereichern, und nicht, seine Schatzkiste zu füllen." Oder: "Geh weder schneller noch langsamer als deine Seele." Und: "Liebe ist nur ein Wort, bis jemand kommt, der es mit Sinn füllt."

Wir alle kennen solche Sätze – von Paulo Coelho, dem magischen Sinnsucher und Jakobswanderer, dem Grenzgänger spiritueller Erfahrungen und Erforscher eigener Lebenskrisen. Wir kennen solche Sätze aber auch aus Poesiealben, aus Kalendarien, die mit nur einem Satz gleich eine Lebenshilfe versprechen. Unsere Distanz zu einer solchen Sprache und diesem gezuckerten Zugang zu den Innenwelten unseres Lebens stellt sich schnell ein. Und unser Spott über jene, die daran auch noch Gefallen finden oder Unterhaltung oder gar eine Hilfe, ist groß. Als im vergangenen Jahr die Bücher von Paulo Coelho im Iran verboten wurden, stellte sich eine namhafte Feuilleton-Redaktion hierzulande die Frage, ob dies nicht ein Dienst am lesenden Publikum sei. Die Kritik und mit ihr der Hohn sind aber auch Zeichen der Unsicherheit darüber, was dieser Brasilianer mit seiner unverschämt schönen Wohnung direkt am Strand von Rio eigentlich ist: eine Art schreibender Priester, ein geschickter Vermarkter von Erlösungs-Literatur, Scharlatan oder esoterischer Freak?

Es gibt ein anderes Meinungsbild, und das ist jenes seiner Leser, genauer: seiner weltweiten Leserschaft. 140 Millionen Bücher hat Coelho verkauft, die in 73 Sprachen übersetzt und in 160 Ländern erschienen sind. Das sind kalte Fakten, die aber doch nachdenklich stimmen können, wie ein offenbar so kritikwürdiger Erzähler bloß zu einem der meistgelesenen Schriftsteller der Welt werden konnte. Paulo Coelho ist ein rätselhafter Mensch, und vielleicht würde er sich selbst viel lieber als mysteriös bezeichnen. Dazu tragen nicht nur seine Bücher bei, sondern auch die Legenden, die sich um seine Person wildwüchsig ranken. Oft sind das nur Kleinigkeiten. So soll er vor Antritt jeder Reise – und sei es nur eine Fahrt mit dem Auto – in einem Gebet darum bitten, interessanten Menschen zu begegnen. Auch durfte die Welt erfahren, mit welchen Kasteiungen und Prüfungen er unter Anleitung eines Meisters Glaubenserweckungen initiierte.

Wichtig für Paulo Coelho sind die Übergänge von der irdischen zur spirituellen Welt, sind die Punkte, an denen beide Sphären einander berühren, sind die Menschen, die als Grenzgänger solcher Erfahrungswelten unterwegs sind. Einer davon ist der Autor selbst, und ein Gehilfe ist ihm dabei sein "Schutzengel". In seinem gleichnamigen autobiographischen Roman begibt er sich gemeinsam mit Ehefrau Chris tatsächlich auf eine intensive Engel-Suche in die Mojave-Wüste. Selbstverständlich müssen es 40 biblische Tage zu dieser Erkundung sein, bei der ein Meister namens Took hilft sowie eine eigenartige Frauenschar. Man will es zunächst nicht glauben, dass Coelho sie Walküren nennt, die durch die amerikanische Ödnis auf Pferden wild dahinfliegen, mit Halstüchern und in martialischer Ledermontur; etwas lesbisch sind sie und zusätzlich noch ein wenig männerverrückt. Wobei die Tollste naturgemäß die Anführerin ist und "Valhalla" heißt. Solche spirituell kruden Abenteuer sind zu Genüge notiert und dokumentiert, sie werden gepflegt und kolportiert, wie auch die Legende, dass er 1987 seinen erfolgreichsten Roman – den über 20 Millionen Mal verkauften "Alchimisten" – in nicht einmal zwei Wochen geschrieben haben soll.

Das Auratische ist mit Sicherheit ein Teil auch des Bucherfolgs. Aber das allein reicht nie. Zumal Coelho nicht in Kutte oder Büßerhemd durchs Leben zieht. Wer ihm begegnet, trifft auf einen gänzlich unkomplizierten, lebensfrohen Brasilianer. Vor allem, wenn eine Band Samba spielt. Dann können Nächte sehr überschaubar und unterhaltsam und für alle Beteiligten auch unvergesslich werden: Paulo Coelho etwa auf der Bühne einer Diskothek im Duett mit dem früheren Kulturminister Brasiliens, Gilberto Gil.

Natürlich nehmen seine Leser zu jedem neuen Buch eine sehr genaue Erwartungshaltung ein. Und diese wird von Coelho zuverlässig befriedigt. So auch im neuen Roman, der – selbst bei der Flexibilität dieser epischen Großform – kein echter Roman ist. Im Grunde bietet uns Coelho ein Selbstgespräch über seine großen Themen wie Liebe und Freundschaft, Angst und Niederlage an. Und dazu hat er einen historischen Rahmen gebaut: Es ist der 14. Juli 1099, vor den Toren Jerusalems steht das übermächtige Heer der Kreuzritter. Am nächsten Tag wird es angreifen, und es steht außer Frage, dass es die Stadt einnehmen und zerstören wird, dass die Kreuzritter plündern, brandschatzen und morden werden. Es wird auch das Ende eines großen Religionsfriedens zwischen Juden, Christen und Muslimen sein.

Am Vorabend dieses Untergangs finden sich auf einem Platz Menschen ein, um einem Kopten zu lauschen. Ihm stellen sie ihre drängenden Fragen, und sie bekommen Coelho-Antworten. Eine Niederlage? "Nur die Besiegten kennen die Liebe", sagt der Kopte. Das Alleinsein? "Alleinsein bedeutet nicht die Abwesenheit von Liebe, sondern deren Ergänzung." Der Glaube? "Der Glaube zeigt uns, dass wir in keinem Augenblick allein sind." Und die Feinde vor den Toren? "Deine Feinde sind nicht Gegner, die dir geschickt wurden, um deinen Mut auf die Probe zu stellen. Es sind Feiglinge, die dir geschickt wurden, um deine Schwäche auf die Probe zu stellen." 180 Seiten geht das so, und wer bereits auf Seite eins darüber müde lächelt, wird kein Freund der "Schriften von Accra".

Wer indes ergriffen wird, wer sich wiederfindet in seinen Zweifeln, seinem Glauben und Denken, dem wird auch der Kopte ein hilfreicher Mann werden. Darüber aber nur den Kopf zu schütteln, wäre vermessen. Wir alle sehnen uns manchmal nach einfachen und verständlichen Antworten auch auf die großen Fragen des Lebens.

Es gibt Sätze, die uns die Welt überschaubar werden lassen. Auch wenn sie es nicht ist, hilfreich sind solche Augenblicke auf alle Fälle. "Die Schriften von Accra" werden für viele Leser ein Schlüsselerlebnis sein. Die wenigsten Erkenntnisse darin werden einer philosophischen oder theologischen Betrachtung standhalten – aber möglicherweise unserer Lebenserfahrung.

Weil ein Buch schrecklich schnell gelesen ist und das nächste Werk noch auf sich warten lässt, gibt es jetzt auch einen Jahreskalender mit jenen Coelho-Sentenzen, die das Zeug zur Gebrauchsanweisung haben. Zum Auftakt des Jahres steht das Versprechen: "Die Welt wird in diesem Augenblick zugleich geschaffen und zerstört. Wen auch immer du getroffen hast, er wird wieder auftauchen, wen auch immer du verloren hast, er wird zurückkommen. Erweise dich der Gnade würdig, die dir zuteil wurde."

(RP)
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