Auch leerstehende Kirchen sind Denkmäler

Gerade erst ist das Kulturhauptstadtjahr auf seine Zielgerade eingebogen, da prescht das Ruhrbistum vor und zieht aus kirchlicher Sicht jetzt schon mal seine Bilanz. Die ist so üppig, mit kleinen Events – wie den 52 spirituellen Kulturtankstellen – und spektakulären Großereignissen wie dem internationalen Pfadfindertreffen und dem "Day of Song" mit über 6000 Chorsängern, dass man fast den Eindruck haben könnte, Ruhr 2010 sei eine gehörige Sache der Kirche gewesen.

Und das ist nicht so ganz falsch. Schließlich führt das Bistum aus Essen jenes "Ruhr", das der Kulturhauptstadt für 2010 den Titel gab, schon über 50 Jahre im Namen. Ganz zu schweigen von der kulturellen Prägung für die Region, die mit der Essener Abtei in Werden seit über 1200 Jahren Früchte trägt. Der prächtige und in seiner Einzigartigkeit immer noch unterschätzte Domschatz zu Essen gibt davon eine glitzernde Anschauung. Wenn das Kulturhauptstadtjahr also etwas Nachdenklichkeit und in diesem Sinne geistige Nachhaltigkeit über 2010 hinaus zu bieten hat, dann wird es auch der Kirche zu verdanken sein.

Das wissen und würdigten gestern im Bischofshaus auch die beiden Geschäftsführer von Ruhr 2010, Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt. Während der Hausherr, Bischof Franz-Josef Overbeck, auch die Selbstgewissheit der Katholiken zu schätzen wusste. Gleich in seinem ersten Amtsjahr durfte der 46-Jährige ein Bistum führen, auf das plötzlich die ganze Welt gesehen hat. Diese Hochgestimmtheit freilich kann kaum über die Probleme eines Bistums hinwegtäuschen, in dem fast 100 Kirchen umgewidmet werden. Was geschieht eigentlich mit dem Identitätsgefühl, wenn die Kirchtürme aus den Orten verschwinden? Ein neues Denken wird nötig sein, das künftig nicht allein um den Erhalt der großen Industriezeugnisse kreist, sondern auch um die sakralen Monumente der Region. Eine neue Aufgabe, zweifelsohne. Und die Kulturhauptstadt hat dazu erst den Anstoß gegeben.

(Rheinische Post)
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