Wohnraum Würdige Architektur für Flüchtlinge

Düsseldorf · Flüchtlinge müssten oft unter schlimmen Verhältnissen wohnen, findet Architektur-Professor Jörg Friedrich. Er baut nun Unterkünfte, die den Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht werden. Sie kosten nicht mehr als Wohncontainer.

Wohnraum: Würdige Architektur für Flüchtlinge
Foto: Simon Beckmann, Tassilo Gerth, Sinje Westerhaus / Prof. Jörg Friedrich/ Institut für Gebäudelehre und Entwerfen leibniz-universität hannover

Jörg Friedrich ist Architektur-Professor in Hannover, aber zurzeit hält er sich auf Lampedusa auf. Er findet, dass die große Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa drängt, ein Thema ist, das nicht nur Politiker etwas angeht oder Ärzte, sondern alle und also auch seinen eigenen Berufsstand. Deshalb möchte er als Erstes die Gebäude verändern, in denen Flüchtlinge in Deutschland untergebracht werden.

Wohnraum: Würdige Architektur für Flüchtlinge
Foto: Alina Schillmöller, Franziska Schumacher

Friedrich gerät am Handy in Italien in Rage, wenn er über die Containerdörfer am Rande der Städte spricht, über Zeltstädte und heruntergekommene Kasernen. "Abschottungsarchitektur ist das", schimpft er, Beweis für die "trostlose Unfähigkeit kommunalen Bauens des Helfens".

Zwischen viereinhalb und sieben Quadratmeter Wohnraum billigt man Flüchtlingen in Deutschland zu. Obwohl für 2016 mit 750 000 Flüchtlingen gerechnet wird, die nach Deutschland kommen sollen, und der Zustrom auch danach nicht abreißen wird, plant man bisher lediglich für den Übergang, für "eine interimistische Gegenwart", wie Friedrich sagt. Und genau das sei falsch. "Das Flüchtlingsproblem ist die große Menschheitsfrage dieses Jahrhunderts." Und wir hätten noch keine Antwort darauf. "Die Menschen werden in Lebenskäfigen untergebracht - ohne jede Privatheit. Blechcontainer sind nicht geeignet, um den ethnischen, religiösen und hygienischen Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht zu werden."

Muslimische Mädchen, weiß Friedrich, dürften sich nicht in Gemeinschaftsräumen waschen. In den Containersiedlungen gibt es aber nur diese. Also wüschen sich die Mädchen nicht - mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Und dass in lagerähnlichen und sehr hellhörigen Einrichtungen, in denen Tausende Menschen teils Monate zubringen, Konflikte und Traumata entstehen, sei logisch. Man würfele die Menschen rücksichtslos durcheinander, ohne auf solche Dinge zu achten. Wohl auch, weil man sie in Containern schlichtweg nicht beachten könne. Seine Forderung: nicht nur in Einheitsmodellen denken. Die Wohneinheiten müssten stark verkleinert und in die Städte geholt werden. "Nicht mehr als 50, 60 Leute. Jeder Mensch hat ein Recht auf Nichthören und Nichtgehörtwerden, auf Schutz, Wärme und Bewegungsfreiheit. Ja, auf Atmen."

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Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen

Wenn man nun zu bedenken gibt, dass es ja nur wenig Platz in den Städten gebe, erzählt Friedrich von dem Seminar, das er veranstaltet hat. Er und seine Studenten durchforsteten den öffentlichen Raum nach Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen. Ergebnis: Nur 60 Prozent des Platzes in Parkhäusern würden genutzt. Warum also die unbenutzte Fläche nicht umwidmen? In der Umgebung von Hannover gebe es 5000 stillgelegte Lastkähne. Warum diese nicht in Flüchtlingsunterkünfte verwandeln und zur Not aufs Wasser verlagern? Viele öffentliche Einrichtungen wie Ämter oder Universitäten hätten Flachdächer. Warum diese nicht mit Unterkünften aufstocken? Es gebe reichlich Baulücken in jeder Stadt. Warum sie nicht nutzen?

Friedrich entwickelte mit seinen Studenten bauliche Konzepte für "Willkommensarchitektur", berechnete die Umwidmung der verschiedenen Objekte. Jeder denke bei Flüchtlingsunterkünften sofort an Container, sagt er. Dabei seien die so teuer wie Eigenheime und wegen der Lieferengpässe derzeit schwer zu bekommen. Besser, menschenfreundlicher und genauso teuer: Modulbauweise mit Holzelementen. Das seien vorgefertigte, wärmegedämmte Teile, die man nach dem Ikea-Prinzip zusammensetze. Friedrich baut gerade drei unterschiedlich gestaltete Unterkünfte auf dem Dach der Uni Hannover. Im Wintersemester sollen dort Flüchtlinge einziehen, die dann - und auf diesen Nebeneffekt kommt es Friedrich an - in der Nähe von Studenten leben, also mehr Möglichkeiten zur Integration haben. Wenn der Zustrom an Fremden irgendwann abebbe, könne man die Bauten für Studenten nutzen.

Friedrich weist auf stillgelegte Bahnhofsanlagen hin, die es fast überall in den Innenstädten gebe. Man könne die Genehmigung von Neubauvorhaben daran knüpfen, dass die Objekte zu mindestens zehn Prozent an Flüchtlinge vergeben werden. Und als er dann noch sagt, man dürfe auch mal darüber nachdenken, die Hütten in Schrebergärten an Flüchtlingen zu vergeben, fragt man ihn, ob er dieses Symbol deutscher Gemütlichkeit bewusst als Provokation ins Feld führe. Man hört Friedrich durchs Handy bitter lachen. "Ja, das stimmt", sagt er. "Aber nur durch Querdenken findet man Ansätze zur Lösung des Problems." Natürlich müsse man alles noch mit Bauämtern abgleichen, natürlich müsse man schauen, was für welche Stadt am passendsten ist. Aber: "Wir müssen den Menschen ihre architektonische Würde zurückgeben." Und: "Glauben Sie mir, das geht. Die Möglichkeiten sind da. Wir müssen sie nur umsetzen."

In dem eben erschienenen Buch "Refugees Welcome" zeigt Friedrich die Modelle, die er mit Studenten erarbeitet hat und die nun zum Teil in Hannover verwirklicht werden. Ihn freut, dass sich sofort Politiker dreier Städte meldeten, die sich von ihm beraten lassen möchten, darunter Bremen und München. Alle sind an der Parkhaus-Umwidmung interessiert. Man spürt förmlich, wie Friedrich am Telefon lächelt.

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Foto: dapd, dapd

Was macht Friedrich eigentlich in Lampedusa? Das nächste Projekt organisieren, sagt er. Er will außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone künstliche Inseln im Mittelmeer aussetzen, die er "Karawansereien" nennt. Dort könnten schiffbrüchige Flüchtlinge notlanden. Auf den Inseln gebe es Unterkünfte und Wasser. Darauf könnten Menschen mehrere Tage zubringen. Man findet die Idee im ersten Moment schräg und dann völlig logisch und naheliegend. Und man denkt an das Goethe-Wort, das Friedrich seinem Buch als Motto vorangestellt hat: "Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter."

(hols)
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