Alzheimer-Forschung Vom Fieberbläschen zur Demenz
Berlin · Die Alzheimer-Forschung hat sich grundlegend gewandelt. Denn sie beschäftigt sich zunehmend mit Viren und Bakterien.
Sie jucken und man sieht mit ihnen einfach nicht gut aus. Die sogenannten Herpesbläschen an der Lippe sind ärgerlich, aber nicht gefährlich. Doch aktuelle Studien zeigen: Der hinter ihnen steckende Virus kann auch beim Entstehen der Alzheimer-Erkrankung eine große Rolle spielen. Und neben ihm kommen noch etliche weitere andere Erreger in Frage. „Wir waren selbst überrascht – aber ihre Gehirne zeigten deutliche Hinweise, dass da Viren am Werk waren.“ Man spürt die Betroffenheit im Publikum, als Joel Dudley auf dem diesjährigen „Alzheimer‘s Disease Research Summit“ in Maryland von den Ergebnissen seiner Studie berichtet. Denn der US-amerikanische Genetiker hat zusammen mit anderen Forschern die genetischen Sequenzen der Gehirne von 600 Verstorbenen ausgewertet – und dabei in den Gewebeproben von Alzheimer-Patienten eindeutig und in einem überdurchschnittlichen Ausmaß die Erbgutspuren viralen Lebens gefunden.
Wie beispielsweise vom Herpesvirus HHV-6, der bei Babys für Drei-Tage-Fieber sorgt. Und eben auch vom Herpes-Simplex-Virus, der Lippen in juckende Krustenlandschaften verwandelt. „Die Gehirne von Alzheimer-Patienten waren teilweise doppelt so stark belastet wie die von gesunden Kontrollpersonen“, so Dudley.
Die Viruslast zeigte sich dabei umso größer, je weiter die Demenz fortgeschritten war. Was zudem ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass der Mikroorganismus und die Erkrankung zusammenhängen. „Ich glaube zwar nicht, dass Viren die Alzheimer-Demenz auslösen“, betont Dudley. „Aber sie spielen sicherlich eine Schlüsselrolle, was den Verlauf der Erkrankung angeht.“
Es ist noch nicht allzu lange her, dass man belächelt wurde, wenn man Keime und die weltweit grassierende Demenz miteinander in Verbindung brachte. Doch mittlerweile hat dieses Thema längst keinen Außenseiter-Status mehr.
Vor rund einem Jahr veröffentlichten 31 international renommierte Alzheimer-Experten ein Statement, in dem sie beklagten, dass man sich in der Entwicklung von Therapien zu sehr auf die Amyloid-Plaques und Tau-Proteine im Gehirn fokussieren würde. Diese Ablagerungen seien zwar typisch für die Alzheimer-Erkrankung, doch man müsse auch untersuchen, welche Faktoren ihre Entstehung begünstigen würden. „Und dazu zählen unbestreitbar Infektionen“, so das Experten-Gremium, zu dem auch Judith Miklossy gehört, die im Schweizerischen Martigny-Croix das International Alzheimer Research Center leitet.
Neben Herpes-Viren scheinen vor allem Chlamydien und Spirochäten – beide gehören zu den Bakterien – die Entstehung von Alzheimer zu begünstigen. Ihnen gelingt es in besonderem Maße, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, die bekanntermaßen mit zunehmendem Alter des Menschen immer durchlässiger wird. Im Gehirngewebe werden die Keime dann, wie Forscher der Amerikanischen Harvard University im Labor nachgewiesen haben, in einer klebrigen Proteinmasse eingeschlossen. Was einerseits die Infektion beseitigt, andererseits aber auch Protein-Bakterien-Klumpen, eben die Amyloid-Plaques, entstehen lässt. Eigentlich sollte das Gehirn sie wieder auflösen können, doch vielen Menschen fehlen die physiologischen Voraussetzungen dazu. Und dann lasten die Plaques wie giftige Betonklötze auf den Hirnneuronen und die Alzheimer-Erkrankung nimmt ihren verhängnisvollen Lauf.
Was aber nicht heißt, dass jeder, der schon mal Herpes-Bläschen auf den Lippen hatte, sich vor einem Leben in Demenz fürchten muss. „Wir wissen mittlerweile, dass Menschen mit dem sogenannten ApoE2-Gen die Plaques in ihrem Gehirn gut auflösen können und ein geringes Alzheimer-Risiko haben“, betont Harvard-Forscher Rudolph Tanzi. Und einige der unter Alzheimer-Verdacht stehenden Keime lassen sich auch vorbeugend ausschalten, und das sogar mit vergleichsweise einfachen Mitteln. So betont Judith Miklossy, dass sich die wendelförmigen Spirochäten besonders gerne in ungepflegten Mündern aufhielten. „Mit einer aufmerksamen Zahn- und Oralhygiene“, so die Forscherin, „trägt man also auch zur Alzheimer-Prävention bei.“